EIN MEISTERWERK
Einige Bemerkungen zu „Der Tag des Malers“ von Werner Nekes
In diesem Film geht es um lauter Verflüssigungen: sie betreffen sowohl die festen Körper als auch deren räumliches Ambiente, an dem das Wasser großen Anteil hat. Diesen formalen Leitgedanken verdankt der Film seine offene Struktur, die immer wieder zu neuen Variationen ansetzt: unterschwellig sind die Sequenzen allesamt Phasen der mehr oder minder expliziten Verflüssigung, heben sich also expandierend von dem starren Visierrahmen Dürers ab, der am Anfang gezeigt wird. Darin ist die Welt in das rechtwinklige System (Guckkasten!) der Zentralperspektive gespannt, gegen dessen Enge und Endgültigkeit Nekes 80 Min. lang seine Episoden und Gesten der Verflüssigung einsetzt – bis zur letzten Sequenz, wo das Fließen zurückgenommen ist in den weiblichen Geschlechtsteil – also im doppelten Wortsinn gestillt.Nekes setzt fortwährend die Kunstmittel der Verschleierung ein (auch diese sind Spielarten der Verflüssigung). Raster und andere Flächemuster legen sich vor die Gestaltung und setzen ihre Körperlichkeit in Flächennetze bzw. – verspannungen um. Dieser Überlagerungen erzeugen „erschwerte Formen“ (Viktor Schklowski) und bewirken dramaturgisch die Verzögerung des Wahrnehmungsprozesses. Zugleich bildet diese Künstlichkeit einen Gegensatz zur hüllenlosen Nacktheit, die aber stets die Merkmale einer keuschen Sinnlichkeit trägt. Das gilt auch für den Joyce-artigen monologue intérieur, in dem der Film seinen finalen Höhepunkt findet. Darin ist das Naturgeschehen (Wasser, Sümpfe, Wind...) zusammengefasst und humanisiert. Die tastend vorgenommene Öffnung der Vulva wird zu letzten und zugleich ersten Bewusstseinshandlung. Der Kreis der Filmhandlung schließt sich und könnte neu beginnen.
Der Film enthält auch einen Exkurs über die Kunstgeschichte der Neuzeit. Beginnend mit der Entmachtung der Zentralperspektive (Dürers Guckkasten) zeigt er Variationen über das Werk von Marcel Duchamp, so etwa den Akt der vorletzten Sequenz, der eine Auersche Glaslampe hält.
Werner Hofmann, 2010
Gianni Rondolino
Die Erotik des Sehens
„Der Tag des Malers“ von Werner Nekes ist einer der interessantesten und anregensten Filme der letzten zwanzig Jahre. Er ist der Höhepunkt von Nekes langer Karriere als experimenteller Filmmacher, als ausdauernder Erforscher visueller und dynamischer Techniken, als Autor von avantgardistischen Filmen. Der Tag des Malers ist eine Arbeit, die dieses Mal die Vision und den Blick erforscht, ein Film über die Beziehung zwischen Maler und Modell, über den Voyeurismus in der Malerei sowie in der Kinematographie, ein Voyeurismus der zugleich den Maler oder den Regisseur wie auch den Betrachter einbezieht. (...)" mehr...
Bazon Brock über "Der Tag des Malers":
"(...) Heute bietet Werner Nekes den Produzenten filmtechnischer Werke die Gelegenheit, den Output ihrer Bildautomaten mit den Augen der Maler sehen und damit verstehen zu lernen. Das gelingt am intensivsten durch Zusehen, durch voyeuristische Betrachtung der Maler, während sie sich sehend an der Welt begeistern - also sich animieren. (...)" mehr...
Siegfried Zielinski über "Der Tag des Malers":
"(...) What is the painter seeing through this apparatus, what could he possibly be feeling? Is he even interested in the beauty of the body across the table from him? Does he smell it? Does he sense its presence? Is he imagining how it tastes? Does he desire it? (…)
The result of Nekes' radical concentration of the material of his film is that he tears the traditional concept of the film wide open: looking back toward the past with the reference to practices of the distant past for playfully and subversively deviating from the verdict of the representative image, as well as looking into the future of the motion picture as a construct with seemingly endlessly changeable material. (...)" mehr...
Daniel Kothenschulte
"Das Auge ist träge, aber nicht faul
Werner Nekes 'Der Tag des Malers’ und die Erotikgeschichte der Medienkunst
Das Phänomen, auf das Wemer Nekes Filme mehr als alles andere rekurrieren, ist das, dem wir die Erfindung der bewegten Bilder überhaupt verdanken: Die Trägheit des Auges. Aber wäre unser Sehorgan wirklich so träge, wie ihm von der Physik unterstellt wird, es würde den Teufel tun, sich ausgerechnet der Reizflut des Kinos auszusetzen. Oder wenn, dann hätte es wenigstens dafür gesorgt, dass uns Lumières Filme aus einer einzigen Einstellung als Norm erhalten geblieben wären. Doch das Auge ist träge, aber nicht faul - und ebenso wie durch sein Handicap, schnelle Bewegungsabläufe zu erfassen durch seine Lust am Bewegungsreiz definiert. (...)" mehr...
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