16.05.09 - 23.08.09
Kunstverein Heidelberg
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Rückblick auf eine öffentliche Geste
Eine Dokumentation und kritische Rekonstruktion von „intermedia ’69“ zum 40. Jubiläum des Fluxusfestivals
Aktionen anhand von Textausschnitten, Fotos, Plakaten, Flugblättern, Filmen und originalen Objekten aus dem Archiv Klaus Staecks und dem Besitz der beteiligten Künstler sowie Rekonstruktionen ausgewählter Arbeiten
Künstler: Joseph Beuys, Christof Kohlhofer, Blinky Palermo, Klaus Staeck, Ben Vautier, Wolf Vostell ...
Pressetext:
ERÖFFNUNG 15.05.2009 | 19 UHR
Das Fluxusfestival „intermedia 69“ lockte 1969 über 5000 interessierte Zuschauer an den Neckar, um großangelegte Aktionen wie Christos Verpackung des Amerikahauses zu erleben. Veranstaltet von Klaus Staeck und Jochen Goetze war das Festival eine Reaktion auf die als reaktionär und „langweilig“ empfundene Jubiläumsausstellung des Kunstvereins. 40 Jahre danach soll dieses fast vergessene Kapitel der Stadtgeschichte Heidelbergs rekonstruiert und einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.
„... eines der größten Abenteuer, auf die ich mich je eingelassen habe...“
Klaus Staeck
„... Heidelbergs Bürger und die Außerparlamentarische Opposition waren sich darin soweit einig: >Mit Kunst hat die Einwicklung des Amerikahauses nun gar nichts zu tun.<..."
Stuttgarter Zeitung, 17. Mai 1969
Heidelberg im Mai 1969: Für drei Tage spielte die Kunst die Hauptrolle in der idyllischen Kleinstadt am Neckar. Über 80 Künstler hatten die Veranstalter Klaus Staeck, der heutige Präsident der Berliner Akademie der Künste, und Jochen Goetze, emeritierter Professor des Geschichtlichen Seminars der Universität Heidelberg, zu „intermedia ’69“ eingeladen. Das Fluxusfestival lockte etwa 5000 zum Teil angereiste Zuschauer mit Aktionen, Happenings, Filmvorführungen, Konzerten und Performances: Christo verpackte in einer legendären Aktion das Amerikahaus, Daniel Spoerri kochte Transsylvanisches Gulasch in der Studentenmensa, die Lidl-Akademie turnte für die kommende Olympiade, Jochen Gerz verteilte Flugblätter, die Guru Guru Groove-Band heulte Dada-Rock, Klaus Rinke errichtete eine Wasserfontäne, Michelangelo Pistoletto ließ es auf der Bühne krachen, Tony Morgan verarbeitete Blumen zu Kunst.
Das Publikum war nachhaltig irritiert, denn „intermedia ’69“ platzte in eine politisch hochexplosive Zeit. Einer zunehmend verunsicherten bürgerlichen Öffentlichkeit standen protestierende Studenten gegenüber, die mit Wucht an den bestehenden Verhältnissen rüttelten. Die Feindbilder waren deutlich und die Fronten klar abgesteckt, als sich die Kunst in Form von „intermedia ’69“ wie ein Keil zwischen diese beiden Parteien schob. Ablehnung kam von beiden Seiten. In ihrer Gesamtheit wirkten die künstlerischen Aktionen wie ein großes Spektakel, dessen öffentliche Geste für viele nicht zu entziffern war. Die bürgerliche Öffentlichkeit fand die Aktionen einfach nur chaotisch, radikale Studenten verurteilten sie als unpolitisch und damit konventionell.
Damit hatten die Veranstalter Klaus Staeck und Jochen Goetze nicht gerechnet. Im Gegenteil: „intermedia ’69“ war gedacht als Gegenentwurf zu der von vielen als bieder und provinziell empfundenen Jubiläumsausstellung des Kunstvereins. Das Fluxusfestival sollte Alternativen aufzeigen und einen Ausblick wagen auf die Kunst der 70er Jahre. Eingeladen wurde daher, wen die Initiatoren für wegweisend hielten – von Joseph Beuys über Blinky Palermo und Ben Vautier bis Wolf Vostell. Viele Namen, damals nur wenigen Eingeweihten bekannt, lesen sich heute wie ein Who’s who der Kunstszene. Dass am Ende weder Beuys noch Vostell zu „intermedia ’69“ kamen, lässt sich als Symptom der chaotischen, aber ebenso lebhaften Atmosphäre des Festivals deuten.
Mit „INTERMEDIA 69 | 2009 | RÜCKBLICK AUF EINE ÖFFENTLICHE GESTE“ reinszeniert der Heidelberger Kunstverein die Stimmung von 1969 und reflektiert dabei insbesondere das Phänomen der Herstellung von Öffentlichkeit und dessen Relevanz für heutige, künstlerische Positionen. Gezeigt werden die vielfältigen Aktionen anhand von Textausschnitten, Fotos, Plakaten, Flugblättern, Filmen und originalen Objekten aus dem Archiv Klaus Staecks und dem Besitz der beteiligten Künstler sowie Rekonstruktionen ausgewählter Arbeiten. Die bewusste Inszenierung des historischen Materials will die – meist – stummen Archivalien zu lebhaften Zeugnissen werden lassen, die nicht nur die Kunst, sondern auch ihren Kontext, die explosive Atmosphäre im Heidelberg von 1969, erlebbar machen.
Bereits die Ausstellungsarchitektur spiegelt das Spannungsverhältnis wider. Im vorderen Bereich der Kunstvereinshalle vermitteln historische Aufnahmen aus dem Archiv der Stadt Heidelberg und einzelne Kunstwerke, die bei der Jubiläumsschau des Heidelberger Kunstvereins zu sehen waren, einen Eindruck von dem Geschmack und der Haltung einer Kulturelite, die nicht nur das politische Leben in Heidelberg, sondern auch das Ausstellungsprogramm des Kunstvereins bestimmte. Am anderen Ende der Ausstellungshalle bricht sich der Protest der Studentenbewegung bahn, „Kunst als Weißmacher“, ein Graffito am Amerikahaus, dröhnt es unter anderem von dort. Zwischen diesen beiden Dokumentationsbereichen eingekeilt behauptet sich die Kunst der „intermedia ’69“ auf Bilderwänden, in Vitrinen, von der Decke hängend, an der Wand lehnend und in Filmkabinen präsentiert. Auch neue Arbeiten werden zu sehen sein, wie beispielsweise eine von Katharina Sieverding neu zusammengestellte Auswahl an Fotos, die sie 1969 während der „intermedia ’69“ aufgenommen hat.
Um die historische Einordnung zu vervollkommnen, sind auf der Empore der Ausstellungshalle die Reaktionen der Presse von 1969 nachzulesen, zudem werden dort weitere Fluxusfestivals der Jahre 1968 und 1969 kurz dokumentiert.
Die Ausstellung wird großzügig von der Stadt Heidelberg unterstützt.
RAHMENPROGRAMM | INTERMEDIA 69 | 2009 | RÜCKBLICK AUF EINE ÖFFENTLICHE GESTE
Eine Dokumentation und kritische Rekonstruktion von „intermedia ’69“ zum 40. Jubiläum des Fluxusfestivals
15.05.2009 | 19 Uhr | ERÖFFNUNG
Begrüßung: Michael Sieber, Einführung: Johan Holten
Im Anschluss an eine Gesprächsrunde mit Zeitzeugen der „intermedia ’69“ (siehe Rahmenprogramm) findet die feierliche Eröffnung der Ausstellung statt. In Erinnerung an Daniel Spoerris Beitrag zur „intermedia ’69“ wird im Kunstverein Gulasch serviert.
15.05.2009 | 17.30 Uhr | GESPRÄCHSRUNDE MIT ZEITZEUGEN DER „INTERMEDIA ’69“
In einer persönlichen Gesprächsrunde wird sich Johan Holten, Direktor des Heidelberger Kunstvereins, mit wichtigen Teilnehmern und Zeitzeugen der „intermedia ’69“ unterhalten. An der Diskussion beteiligt sind Klaus Staeck, Mitinitiator des Großfestivals und heute Präsident der Akademie der Künste, Berlin, Hans Gercke, Besucher der „intermedia ’69“ und langjähriger Direktor des Heidelberger Kunstvereins, Klaus Rinke, teilnehmender Künstler und bis 2004 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf, Helmut Schweizer, Künstler und mit der Künstlergruppe PUYK ebenfalls auf dem Festival vertreten, sowie Katharina Sieverding, die die verschiedenen Aktionen und Performances der Veranstaltung mit der Kamera dokumentierte.
23.05.2009 | 19.00 Uhr| FILMABEND MIT CHRISTOF KOHLHÖFER
Die Filme vom Maler und Filmemacher Christof Kohlhöfer, von denen einige auf der „intermedia ’69“ im Klubhaus am Klausenpfad liefen, spiegeln den Geist der Fluxusbewegung wider. Vorgestellt werden seine Filme „Tanzstunde“ von 1968 und „Der ganze Körper fühlt sich leicht und möchte fliegen“, 1969 mit Sigmar Polke produziert. Mit einer Einführung von Christof Kohlhöfer und anschließendem Gespräch.
11.06.2009 | 17.00 Uhr | EINFÜHRUNG IN DIE PUBLIKATION ZUR „INTERMEDIA ’69“ VON DR. RENATE BUSCHMAN
Dr. Renate Buschmann gehört zu den wenigen Expertinnen der Fluxusbewegung im Rheinland. Zu ihren Publikationen gehört „Chronik einer Nicht-Ausstellung“, die experimentelle Ausstellungsformen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren am Beispiel der Kunsthalle Düsseldorf präzise aufarbeitet. Ihr jüngstes Buch, das mit Klaus Staeck herausgegeben wird, trägt Dokumente, Künstlerinterviews und einen historischen Rückblick zur „intermedia ’69“ zusammen. Die soeben im Steidl-Verlag erschienene Publikation wird im Heidelberger Kunstverein erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert.
14.06.2009 | 16 Uhr | „ERLEBTE GESCHICHTE – ERZÄHLT“. EIN GESPRÄCH ZWISCHEN AUTOR MICHAEL BUSELMEIER UND PROF. DR. H.C. JENS CHRISTIAN JENSEN, 1. VORSITZENDER DES HEIDELBERGER KUNSTVEREINS 1968 – 1970
In der Reihe „Erlebte Geschichte – erzählt“ stellt der Autor Michael Buselmeier Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wirtschaft vor, die eine besondere Beziehung zur Stadt Heidelberg entwickelt haben. Einer von ihnen ist Jens Christian Jensen, 1971 bis 1990 Direktor der Kunsthalle zu Kiel, der von 1968 bis 1970 neben seiner Haupttätigkeit als Kustos am Kurpfälzischen Museum ehrenamtlich als 1. Vorsitzender die Leitung des Heidelberger Kunstvereins innehatte. Er kuratierte auch die Jubiläumsausstellung des Kunstvereins 1969, die Klaus Staeck und Jochen Goetze dazu veranlasste, die „intermedia ’69“ als künstlerische Protestaktion ins Leben zu rufen. Vierzig Jahre danach wird Michael Buselmeier mit Jens Christian Jensen auf diese bewegten Jahre zurückblicken (Veranstalter: Heidelberger Kulturamt).