Schattentheater-Fest Oberhausen

Pressespiegel
Deutsche Tagespost
26.10.1993
INTERNATIONALES SCHATTENTHEATERFEST OBERHAUSEN
Träume auf weißem Tuch
Günther Bastian


Das kulturelle Leben im Ruhrgebiet ist reich an Filmfestivals, Theatertreffen und Festen des Puppenspiels. Nun gab es sechs Tage lang in Oberhausen das erste Schattentheater-Festival der Welt. Ausverkaufte Vorstellungen mit Tausenden von Besuchern aus dem In- und Ausland zeigten das große Interesse an der Begegnung mit Figuren und Erscheinungen auf dem "weißen Tuch des Traumes und der Phantasie".
Das Schattenspiel, bei dem man schwarze oder auch buntbemalte flache Figuren aus Leder hinter einer beleuchteten durchsichtigen Fläche bewegt, wurde in Oberhausen von Künstlern aus Indien, Bali, China, Thailand, Ägypten, Griechenland und der Türkei ausgeführt. Der Initiator des Festivals war der vor Jahren von Hamburg nach Mülheim an der Ruhr abgewanderte experimentelle Filmemacher Werner Nekes. Seine Empfehlung für das Schattenspiel war nicht zufällig. Gilt doch diese Kunstform aus uralten Kulturen mit ihrer Projektionsmagie und den seit Jahrtausenden überlieferten Bewegungsphasen als ein Vorläufer des Films. Das Wesenhafte zwischen dem Schattentheater und dem Film hat besonders Lotte Reiniger-Koch mit ihren Silhouetten-Filmen ("Abenteuer des Prinzen Achmed") deutlich gemacht.
Die streng stilisierte Schattenspielkunst ist erstmals in Indien aufgetaucht. Sie fand dann ihre Verbreitung in Ceylon, Java, Bali und China, das man bis 1906 irrtümlich für das Ursprungsland gehalten hat. Von China aus, wo die "Träume auf weißem Tuch" im Jahre 1100 vor Christus bekannt wurden, gelangte das Schattenspieltheater in muslimische Länder. Das Licht blieb immer ein wesentliches Formmittel dieser bewegenden Kunst, aber sie unterlag vielen Wandlungen. Göttermythen, Fabeln und Märchen gaben dem Schattenspieler unter der Öllampe den Stoff für seine hintergründige Bildersprache. Die Aufführungen in Oberhausen ließen gut erkennen, wie alte kosmologische und eschatologische Vorstellungen das Schattenspiel geprägt haben. Besonders im Gastspiel aus Bali zeigte sich, wie jede Linie, jedes Ornament tiefen Sinn hat. Phantasmagorien und Märchenpoesie standen mystisch-gleichnishafte Aufführungen gegenüber, in denen die schattenhafte Darstellung von Menschen und Dingen als Sinnbild für die Nichtigkeit der irdischen Erscheinungswelt zu verstehen war. Hier vor allem fand sich Arthur Schopenhauers Wort bestätigt: "Alles Urdenken geschieht in Bildern". Der Dalang, wie der einzige Spieler und Sprecher eines Schattentheaters heißt, vermag auch hintergründigen Humor zu entfalten. In Oberhausen zeigte ein Handschattenspieler aus Indien, wie durch individualistische Charakterisierung der Schatten aufschlußreiche Menschenbildnisse entstehen können.
Die Veranstaltung erinnerte daran, daß das Schattenspiel im siebzehnten Jahrhundert über Italien auch nach Deutschland gelangt ist. Versuche zur Wiederbelebung fürs "europäische Auge" hat es hierzulande vor allem vor dem Ersten Weltkrieg in München gegeben. Mit der "Schwabinger Schattenbühne" in der Ainmillerstraße erregte Alexander von Bernus Aufsehen und großes Interesse.
Günther Bastian

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