"Schaulust" im Altonaer Museum Hamburg

Gießener Anzeiger

Von Sehmaschinen, optischem Theater und Spektakeln

Jahrhundertelange Lust der Augen: Altonaer Museum in Hamburg zeigt die hervorragend präsentierte Sammlung des Filmemachers Werner Nekes
Von Claudia Guderian

HAMBURG. Wo ist oben? Das liegt, wie so oft, im Auge des Betrachters "Hereinspaziert, meine Herrschaften!" hört man den Ruf eines stolzen Jahrmarktschaustellers von 1820 vor dem inneren Ohr, "Schauen Sie unerhörte Dinge! Landschaften Chinas, Erdbeben in Portugal, der Schwarze Kontinent - alles naturgetreu mit anzusehen ... !" Und so strömen die Schaulustigen zwar nicht ins Gauklerzelt, sondern in die hervorragend präsentierte Sammlung des Filmemachers Werner Nekes, um sich, wie vor zwei- und dreihundert Jahren, von der eigenen Schaulust verführen zu lassen.

Denn bewegte Bilder, Illusionen, Trugbilder, verborgene und chiffrierte Bilder sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. In gemächlichem Tempo betritt man die Ausstellung, doch alsbald ist einem Hören und Sehen vergangen und man wird hineingesogen in die umfangreichste Ausstellung mechanischer Sehmaschinen aus zwei Jahrtausenden - ein riesiger Rundgang durch die Archäologie des bewegten Bildes mit mehr als 1000 Exponaten.

Schon Ptolemäus beschrieb im zweiten Jahrhundert vor Christus das "Thaumatrop", das im 19. Jahrhundert ein zweites Mal erfunden wurde: Auf einer Pappscheibe sind vorn und hinten zwei unterschiedliche Bilder gemalt, zum Beispiel vom ein Vogel und hinten ein Käfig. Rechts und links, der Scheibe ist mittig ein Faden befestigt, an dem man die Scheibe drehen kann. Dreht sie sich schnell genug, kann sie die Trägheit des Auges überlisten: Der Vogel scheint im Käfig zu sitzen. Die beiden Bilder sind miteinander verschmolzen.

Im 17. Jahrhundert tauchten die Guckkästen auf, zuerst in Holland. Sie sind die Umkehrung der Camera Obscura und zeigten fremde Welten in Miniaturform. Savoyarden, ein armes Bergvolk, zogen damit durch Europa und zeigten auf Jahrmärkten dem Volk, wie es in den fremden Welten bis nach China ausgesehen hat. Jede Epoche hat ihre eigene Medienwahrnehmung.
Besonders beliebt waren perforierte Landschaften. Davon zeigt man in Altona gleich einen ganzen Raum. Im Halbdunkel sieht man Schloßveduten, bekannte Plätze, Denkmäler detailreich auf Pergament gemalt oder gedruckt. Ein Bild hängt neben dem anderen, man wähnt sich in einer Art Diashow des 18. Jahrhunderts.

Doch von Zeit zu Zeit geht vor der gesamten Bilderwand das Licht aus und es erstrahlt eine Lichtquelle von hinten. Nun leuchten Hunderttausende von Lichtpunkten, die akribisch in die Bilder hineingestochen sind, und lassen die Nachtbeleuchtung angehen: Da ziehen sich beleuchtete Buchsbaumarabesken durch einen nächtlichen Barockgarten, da leuchten heimelige Schlossfenster, da züngeln die Flammen eines gewaltigen Feuers zum Fenster heraus und drohen, dieses traute Bild zu verzehren. Alles Lug und Trug.

Vom Jahrmarkt her bekannt sind die wunderlichen Zerrspiegel. Aber da gab es auch noch die so genannten Anamorphosen, eigenartige Bilder auf rundem Grund, über denen ein verspiegelter Zylinder oder Kegel steht. Und erst in diesen verzerrten Formen entschlüsselt das geheimnisvolle Bild seine wahre Gestalt.
Sehen auf den zweiten Blick

Das Verstecken, das Sehen auf den zweiten Blick, war ja schon immer eine Methode, den plumpen Häschern der Zensur zu entgehen. So ließen sich politische oder pornographische Inhalte verschlüsseln. Harmlose Tierbilder aus Indien geben auf den zweiten Blick ganze Knäuel ineinander verschlungener Paare preis.

Das zwei- und dreiansichtige Bild hat sich in veränderter Form bis in heutigre Tage gerettet: Ein Bild wird in feine Streifen zerschnitten und diese auf eine hochgestellte Fläche aufgebracht. Nun sieht man das Bild nicht mehr von vorn, sondern von der Seite - und ein zweites von der anderen Seite. Nekes präsentiert derlei zerschnittene Napoleon-Antlitze seinerzeit sicher nicht ohne Brisanz.

Man verlässt diese faszinierende Ausstellung mit dem Argwohn, dass es vor dem Zeitalter der Television und der elektronisch bewegten Bilder viel raffiniertere Augenspiele gab als heute bei Film und Fernsehen. Schattenspiele des Orients erweitert das 17. Jahrhundert um
drehbare Maschinen, die ebenfalls Schatten werfen. Wir sehen vom Dunkeln in Helle, vom Frühen ins Späte. Wir entdecken die Zentralperspektive, die ja nu eine Übereinkunft ist, wie die dritte Dimension in die zweite gebannt werden soll. Heute ist sie uns so selbstverständlich, dass niemand mehr darüber nachdenkt, wie es auch sonst hätte sein können.

Etwa mit einer echten dritten Dimension? Dann schaue man der mit schwarz-weiß-gestreiften durch in die vielen aufgestellte Guckkästen. Ach ja: Unsere „Guckkastenbühne“ o, Theater ist dasselbe in groß, eine dreidimensionale Illusion an der einen Innenseite eines Würfels.

Ein Höhepunkt der Sammlung ist der Ames-Raum, den der Maler Adelbert Ames 1947 entworfen hat: ein von schwarz-weißen Mustern durchzogener Raum, den man von außen durch ein Guckloch bestaunen kann. Da sieht man verblüfft, daß die darin Laufenden abwechselnd groß und klein zu werden scheinen. Alles Täuschung.
Doch auch die jüngste Moderne ist in Nekes’ Sammlung vertreten. Auch heute noch werden optische Illusionen anderer Art fabriziert, wie die paradoxen Körper, Scheinbewegungen oder Spaltobjekte von Ludwig Wilding aus Hamburg/Buchholz, der mit schwarz-weiß-gestreiften durchsichtigen Auflagen über geometrischen Mustern arbeitet. Kommt man diesen kastenförmigen Installationen näher, geraten die beiden Ebenen in eine wunderliche Verschränkung, dehnen und strecken sich, wie es eigentlich gar nicht möglich ist. Werner Nekes Sammlung ist die größte in Deutschland und vermutlich auch weltweit. Es ist das umfangreichste Filmmuseum der Welt – diejenigen in Babelsberg, Berlin, Frankfurt spezialisieren sich immer mehr auf das Ausstellen von Requisiten und Kostümen. In Altona geht man von Apparat zu Apparat, von Vorrichtung zu Vorrichtung, von Maschine zu Maschine, und entdeckt mit größter Lust, wie die Menschen immer wieder auf andere Art
versuchten, die Trägheit des Auges zu überlisten und ihm eine fremde Welt
vorzugaukeln, die schöner, exotischer oder schlimmer ist als die Gegenwart. Wie
im Traum.

Die Ausstellung im Altonaer Museum bietet genug zu Entdecken für einen ganzen Hamburg-Tag. Man verlässt sie beschwingt und in der festen Überzeugung ein paar frische Augen mit nach Hause zu nehmen.

Es wäre wünschenswert, wenn die Sammlung auch ständig im Altonaer Museum bleiben könnte.

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