"Schaulust" im Altonaer Museum Hamburg

Die Welt, Julika Pohle

Das Altonaer Museum verwandelt sich mit der Ausstellung "Schaulust"
in ein Panoptikum der visuellen Täuschungen
26. Oktober 2006

Der träge Blick er will betrogen sein
Die große Fläche ganz hinten an der Wand schimmert silbrig. Wir gehen darauf zu, sehen zuerst nur wabernde Formen, die sich allmählich zu einer Gestalt verdichten - zu unserem eigenen Spiegelbild. Doch welche Metamorphose hat sich vollzogen, seit wir zuletzt unser Äußeres überprüften. Wo vorher das Kinn war, beginnen jetzt die unendlich langen Beine,
der Rumpf ist zusammengeschrumpft auf einen oberhalb der grotesken Stelzen gelegenen schmalen Streifen, den er sich auch noch mit einem breitmaulfrosch-artigen Kopf, Stummelarmen und einer Umhängetasche teilen muß, die neuerdings mehr wie ein Ohrschützer aussieht. Im Altonaer Museum liegt das Wunderland vor den Zen-Spiegeln. Denn dort erstreckt sich entlang eines Rundwegs durch viele Räume, in denen die Präsentation von rund 1000 Exponaten trotz der gewaltigen Materialmenge übersichtlich gelungen ist, die Ausstellung "Schaulust. Sehmaschinen, optische Theater & andere Spektakel" (bis zum 1. April).
Dabei handelt es sich um ausgewählte Stücke einer prächtigen Sammlung aus sechs Jahrhunderten, die der Medienhistoriker und Filmemacher Werner Nekes (Jahrgang 1944) im Laufe von 40 Jahren zusammentrug.
Einige durchleuchtete Postkarten, die er erwarb, weil sie sich je nach Tages- oder Nachtzeit so schön veränderten, bildeten den Grundstock. Heute erzählt Neke’s Sammlung die Geschichte der Wahrnehmung, die Historie des bewegten Bildes. Und mündet im Film, jenem Medium, mit dem der Sammler selbst arbeitet und experimentiert. Mit solcherlei "historischem Vokabular“ (Nekes) ausgestattet, gelingen Übersetzungen in die zeitgenössische Sprache moderner Bildwelten gewiß leichter. Doch die Mega-Schau möchte keinen Zeigefinger erheben, um heutige Medien der Tücken oder gar der Lüge zu bezichtigen. Sie richtet vielmehr einen gedachten Zeigestock auf das Bild – das optisch verzerrte, das gebrochene, das unendlich wiederholte oder in die Länge gezogene, das spektakuläre, das wissenschaftliche, das verdoppelte, das negative, sich aus Schatten formierende, das animierte, durchleuchtete, das flimmernde, changierende, das verwirrende, das verrückte, das zauberhafte Bild. Das Bild als steinaltes Unterhaltungs- und Erkenntnismittel.

Die Sammlung Nekes' beginnt mit Licht- und Schattenspielen aus dem 17 . bis 19. Jahrhundert. Wertvolle und wunderschöne Schattenfiguren sind dort zu sehen sowie "Chinesische Feuerwerke", also Bilder, hinter deren abenteuerlich gestalteter Oberfläche wechselndes Licht die Funken der Illusion sprühen ließ. Auch die "Laterna Magica" besticht hier variantenreich, sie ist der zukunftsweisende Ur-Diaprojektor. Im nächsten Raum, der sich mit den Gesetzen der Perspektive befaßt, lauem uns die erwähnten Zerrspiegel dieser Wunderkammer auf; und solche Beine, wie sie uns dort im Spiegel wachsen, bräuchten wir nun auch, wollten wir mit wenigen Schritten an den endlosen Panoramen entlanglaufen, von denen eines den "Lübecker Totentanz" von 1701 zeigt.
    
Im weiteren fangen uns Guckkästen ein, und Leuchtwände illuminieren unzählige transparente Bilder. Die ganze Welt wohnt in diesem Zimmer, sofern wir uns tief über die hölzernen Kästen beugen, mit den Augen durch die lichten und schattigen Ideallandschaften streifen. Diesem romantischen Tun folgt die nüchterne, nach Aufklärung strebende Wissenschaft. Optische Errungenschaften einer Epoche, in der Berge vermessen und Wolkenformen getauft wurden, sind in Vitrinen zu sehen. Was die Forschung sicher mit großen Sprüngen voranbrachte: das erste vergrößerte Bild von einem Floh (1665).

Vexier- und Montagebilder bieten ein schier unendliches Spektrum des Scheinbaren. Denn unser Blick will betrogen sein, er ist träge. Und macht damit ausgezeichnete Erfahrungen. Starren wir etwa ein Negativporträt von Greta Garbo minutenlang dort an, wo ihre Nasenwurzel sitzt, sehen wir die Göttliche kurz darauf positiv auf einer weißen Wand erscheinen. Mit dem Prinzip des Nachbildes, das etwas in Bewegung bringt, arbeitet eine ganze Reihe optischer Geräte, die nun folgt. Mit den Siebenmeilenstiefeln des Fortschritts geht es nun in den letzten Räumen der Schau dem Film entgegen. Jede Erkenntnis auf diesem Weg - mit Namen etwa wie Thaumatrop, Phénakistiskop, Zoetrop und Praxinoskop - lohnt einen genauen Blick. Die Wirklichkeit, das wissen wir seit dem Blick in den Spiegel, ist in Wahrheit Verwandlung.

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