"Dunkle Erscheinungen"
 
Stiftung DKM Duisburg

Dunkle Erscheinungen
Duisburg nimmt das Sehen in den Blick

von Svenja Klaucke 

Wo immer Werner Nekes, einer der weltweit angesehensten Filmkünstler, die Wunderkammer seiner Sammlung öffnet, mit all den optischen Trickapparaturen und Zauberinstrumenten, Sehmaschinen, Illusionsautomaten und visuellen Täuschungsspiegeln, ob im Kölner Museum Ludwig oder demnächst für ein groß angelegtes Projekt in Duisburg (gemeinsam mit gleich fünf Kulturinstitutionen der Stadt), da ist es so: Erst gehen einem die Augen über. Und dann gehen einem die Augen auf.
„Das mit dem Kino ist ja eine ganz alte Kiste," sagt ein verblüffter Ausstellungs-Besucher angesichts einer Camera Obscura, der "Dunklen Kammer" oder Lochkamera. Vorläuferin der Filmkamera, im Prinzip bekannt seit Aristoteles. Diese und noch ältere Vorfahren der modernen Bildmedien wird demnächst ein facettenreiches Duisburger Projekt mit Werner Nekes beleuchten, das allererste Lichtspiel nämlich: den Schatten. Die Schattenkultur in allen Spielarten: „Wir werfen Schatten. -kunst, -spiele, -theater, -film." Als Spektakel aller Sparten.
"Denn Meister Abraham verstand sich auch darauf, Kartons so zuzuschneiden, daß man nichts deutlich herausfand, doch hielt man ein Licht hinter das Blatt, bildeten sich in den auf die Wand geworfenen Schatten die seltsamsten Gestalten in allerlei Gruppen. In diesem Augenblick hielt er ein in Kreuz- und Querzügen wunderlich durchschnittenes Blatt vor brennende Kerzen, und auf der Wand reflektierte sich ein ganzer Chor von Nonnen, die auf seltsamen Instrumenten spielten." Besucht man den Mülheimer Filmemacher, Medienprofessor und Kinohistoriker Werner Nekes in seiner Werkstatt und Wunderkammer, inmitten seiner Privatsammlung - eine der weltweit bedeutendsten und umfangreichsten zur 500jährigen Vorgeschichte der modernen visuellen Medien -, dann wirkt Augenöffner Nekes, der durch nie gesehene Vorführungen zu unerwarteten Einsichten verführt, im ersten Augenschein wie eine Persona magica. Wie ein Enkel von E.T.A. Hoffmanns Meister Abraham Liscov im "Kater Murr". Dieser Nekes-Liscov, der "großen Geschmack fand an allerlei wunderlichen Spielereien ... bald an diesem, bald an jenem überraschenden Kunststück aus der natürlichen Magie, der optischen Maschinen und Illusionen ... trieb oft sein Wesen mit solchem Spiel. "Mein Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde Ihnen hier bald die allerwunderbarsten Dinge zeigen. Diese tanzenden Männlein, diese Automate, diese Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel" ... Damit sprang der Meister im Zimmer umher, zog die Maschinen an, ordnete die magischen Spiegel. Und in allen Winklein wurde es rege und lebendig ... und das Fräulein selbst und der Meister standen draußen so gut wie im Zimmer."
In diesem Zimmer, in diesen Räumen in Mühlheim kann man, ähnlich wie demnächst in Duisburg, die Urahnen von Fotograf, Film, Fernsehen bestaunen. Sie tragen Namen wie Zauberformeln - Praxisnoscop und Phenakistiskop, Diorama und Myriorama, Daedalum und Coptographie. Das Kaleidoskop kennt man zwar noch, oder das Daumenkino. Aber - "unglaublich, wie viel in Vergessenheit geraten ist", sagt Werner Nekes - unglaublich, was er in 35 Jahren des Sammelns und Forschens, als Archäologe der Kinogeschichte, als Enzyklopädist des Sehens, an Tausenden historischer Exponate und Schriften geborgen hat, von denen heute im Grunde kaum mehr etwas bekannt ist.
Da gibt es rotierende stroboskopische Scheiben von 1833, aus deren Mitte immer neue Ratten herausschlüpfen und über den Rand verschwinden. Diese Lebensräder, Täuschungsseher oder die späteren "Wundertrommeln" machten aus Phasenbildern bewegte Bilder, einen Endlosfilm. Oder man lugt in Guckkästen, auf die flackernden Flammen einer Seeschlacht. Beäugt im Perspektivtheater von 176o das Erdbeben von Lissabon - lauter bühnenartige Lichtspiele und Schattenwunder. Wie die der Laterna Magica, Vorläuferin des Projektors. Gern gesehene, volksvergnügliche Phantasmagorien- und Schreckenslaterne, die etwa auf Rauch die gruseligsten Erscheinungen projizierte, oder mit der Mikroskop-Variante wimmelnde Riesenwassertropfen an die Wand warf. Oder es gibt erstaunliche optische Phänomene wie die japanischen Zauberreliefspiegel, die Schatten erzeugen; oder den Spatiographen von 1850, ein Kristallobelisk mit ausgesägten Kanten, die in seinen Glas-Innenraum ein plastisches Bild "schreiben". Oder die rätselhaften Perspektiven-Experimente: Nekes holt seine Zylinder-Anamorphosen hervor, verzerrt gezeichnete Bilder, ursprünglich eine Erfindung Leonardo da Vincis. Erst wenn er den dazugehörigen spiegelnden Metallzylinder in der Mitte der Zeichnung setzt, entzerrt sich in diesem Spiegel das Bild zur Kenntlichkeit - wird zu Portraits, Sprüchen, galanten Szenen.
Solch' optisches Spielzeug wurde schon in Barock und Rokoko zur populärern Unterhaltung. Zugleich aber ist es auch "philosophisches Spielzeug", war wissenschaftliches Instrumentarium; und auch künstlerisches - mit einer spezialisierten, tragbaren Camera Obscura, die mittels Lichteinfall durch ein Objektiv im dunklen Kasten die Umgebung abbildet, malte etwa Jan Vermeer Landschaften ab. In Nekes ehrwürdigen historischen Folianten zur Erforschung der Optik, zu Astronomie oder Medizin, im "Orculus Artificialis" von 1702 findet sich noch eine delikate Variante: die im Fuß eines Trinkpokals verborgene Camera Obcura. Mittels konvexer Linse und Innenspiegel wird das Bild der Umgebung auf die Oberfläche des Wassers oder Weißweins geworfen. Jetzt braucht der Benutzer nur
alles um sich herum beobachten.
Wie wurde einer wie Werner Nekes, den Alexander Kluge mal als "einen der bedeutendsten Film-Avantgardisten der Welt" bezeichnet hat, wie wurde dieser Pionier des experimentellen, strukturellen Films zum Sammler? Zum Archäologen der Geschichte belebter Bilder? Zum Forscher? Der nachsah wie die historische Erforschung von Perspektive, Montage, Raum- und Bewegungsillusionen, wie die Entwicklung optischer Konstrukte, Apparate, Installationen, den Weg für den Film vorbereiteten. Und der von da aus selbst zum Erfinder wurde. Und die Resultate seiner Entdeckungen wiederum einbaute in seine Filme und Filmtheorien - weitere Nekesche Wunderkammern. Das Initial dazu war der Fund eines mittlerweile sehr raren optischen Spielzeugs. Anfang der7oer, in einem kleinen Zauberladen im spanischen Bilbao, entdeckte er ein sogenanntesThaumatropvon1825. Eine einfache Papierscheibe, die auf jeder Seite ein anderes Bildmotiv trägt. Etwa einen Papagei hier, einen Käfig dort. Oder ein Teufelchen hier, und eine Schlafende auf Rückseite. Zwirbelt man nun die seitlichen Fäden dieser Wendescheibe, dreht sie sich. Und die beiden Bilder verschmelzen zu einem einzigen Bildeindruck – der Vogel hockt nun scheinbar im Käfig; das Teufelchen als Alpdruck auf der Brust der Schlafenden. Trugbilder als Erkenntniserlebnis: Das Thaumatrop verkörpert für Nekes nicht nur die Geburtsstunde des Films. Es war Anstoß zu seiner Filmtheorie und Filmpoetik. Die Information liegt zwischen den Bildern: „Nicht mehr das Einzelbild ist die kleinste filmische Informationseinheit, sondern der Unterschied zwischen zwei Einzelbildern, das "Kine"," erklärt er. "Das ist interessant im Hinblick darauf, was Film filmsprachlich leisten kann. Mit wenigen einfachen Elementen lassen sich unendlich verschiedene Bilder erzeugen. Oder denken Sie nur mal an die DNS-Struktur", sagt er. Und kramt ein sehr altes Buch hervor, wo bereits zeichnerisch ähnliches durchprobiert wird. Oder man betrachte sein Myriorama von 1802, die "Zehntausendschau". Ein Landschaftspanorama aus 24 vertikalen Streifen, die sich beliebig zu immer neuen Phantasielandschaften aneinanderlegen lassen: "Wollten drei Milliarden Menschen jede Sekunde eine neue Kombination legen, brauchten sie dazu mehr als 16 Millionen Jahre."
Wie der Blick auf die Geschichte des Sehens die Augen öffnet für die Entwicklung neuer Sehweisen, veranschaulichen Technik und Ästhetik von Nekes Filmen: Über den Blick zurück visuell voran. Er hat eben historische Verfahren nicht nur auf ihre ästhetischen Möglichkeiten hin untersucht, sondern auch nutzbar gemacht. Für seinen Film "Mirador" (1978) konstruierte er beispielsweise Spiegelmaschinen, baute technische Apparate und erfand die "physikalische Überblendung". Sämtliche seiner komplexen Bildsprachen, filmischen Techniken und Tricks aber sind versammelt in seinem Meisterwerk "Uliisses" (1980/82). Während seine Dokumentarfilme "Was geschah wirklich zwischen den Bildern?" und "Media Magica" höchst ergötzlich animierte, filmische Führungen durch sein Museum sind.
Vielleicht noch vergnüglicher wird sein, wenn jetzt von Mitte Januar bis Ende Juli 2003 Duisburg das Sehen in den Blick nimmt. Wenn vor allem die dunklen Erscheinungen leibhaftig vor Augen geführt werden, die Schattenkünste in ihrer historischen wie zeitgenössischen Dimension. Im Kultur- und Stadthistorischen Museum wird das "Reich der Schatten" Teile aus der Sammlung Nekes so vorführen, dass man seinen Augen nicht traut; weitere verblüffende Erfahrungen mit Illusionen ermöglicht der" Licht & Schatten Spielplatz" im Kindermuseum der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum. Die VHS Duisburg wird die "Schatten - Künste" in der bildenden Kunst und Literatur vorstellen, ausserdem gibt es Schattentheater-Gastspiele aus China, Indonesien und der Türkei. Das Duisburger Filmforum führt schließlich "Vom Schatten zum Film", wobei nicht nur Werner Nekes seine Dokumentationen zum Schattentheater persönlich kommentieren wird, sondern auch mit einer Auswahl höchst schattiger Spielfilme den Teufel an die Wand malen wird. Die Gegenwart ist erreicht, wenn Zaubermeister Nekes eigens für die Stiftung DKM in deren Schaufenster-Galerie im "Garten der Erinnerung" ungewöhnliche Medienskulpturen installiert, die sich mit der Dämmerung in weit ausstrahlende Licht- und Schatten-Spektakel verwandeln. - Das diskreteste Schattenspiel aber wird wohl das "Jouet séditieuse" aus der französischen Revolution sein. Was man mit diesen "verführerisch-aufrührerischen Spielzeugen" anstellte? Sehen Sie selbst.
Svenja Klaucke

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