... oder gleich nach Amerika gehen!


Ich tippe mal einige spontane Gedanken in die Maschine, ungeordnet, aber sie können doch vielleicht ein wenig die Darstellung unserer Situation sein. Ob sie für einen Artikel verarbeitbar sind, daran will
ich jetzt noch nicht denken. Als guter Filmkauf-Geschäftsmann müßte man die Situation ja immer positiv sehen, leider kann ich sie (im Moment) nur pessimistisch begreifen. Zehn Jahre meiner Filmarbeit sind jetzt vorbei. Das Filmklima für neue, manchmal auch unbequeme Filme hat sich nicht verbessert. Zwischendurch gab es mal eine kurze Hoffung — die Hamburger Coop, die sich inzwischen freilich auch zerschlagen hat. (Weil Filme von den Medien als Mode, sprich: Underground, verkauft wurden.) Die Coop ging auch deshalb dem Scheitern entgegen, weil trotz meiner Appelle eine Aufsplitterung stattfand: in die PAP-München, die einen Elite-Verein gründen wollte, dann in die sich als politisch verstehenden Filmverleihe. Die Coop oder eine Sammelstelle des Verleihs hätten überleben können; für viele Verleihe aber ist der Kreis der potentiellen Abnehmer in Deutschland zu klein. Das heißt nur ein einziger Verwaltungsapparat hätte vom Verleih getragen werden können. Eventuell hätte auch dieser bezuschußt werden müssen. Die letzten drei, vier
Jahre war das Überleben des Hamburger Coop nur dadurch möglich, daß Dore 0. und ich auf sämtliche Einspielergebnisse verzichteten (um die Anschrift zu erhalten).

Natürlich spielt auch das Sterben der Filmclubs eine Rolle, oder auch das Sterben der deutschen Filmkritik. (DIWAN von mir, BLONDE BARBAREI von Dore haben in Deutschland bisher überhaupt keine
Besprechungen erhalten, T-WO-MF.N eine Besprechung.) Das ist viel zu wenig für Filme, die man später einmal mit zu den wichtigsten zählen wird, die in diesen Jahren in Deutschland produziert wurden. Ebenso erging es BIRTH OF A NATION von Klaus Wyborny. 1969, in der Blütezeit der Coop, produzierten etwa 140
Filmmacher in Deutschland. Neue Filmmacher kamen ständig hinzu, Leute wie Praunheim, Schroeter, Weiß, Wenders etc., seitdem kein einziger neuer Filmmacher mehr, was bestimmt nicht am möglichen Potential der Talente liegen kann, sondern an der falschen Medienpolitik. Die ausradierten Hoffnungen der deutschen
Filmkunst. Oder wo sind die Filmmacher geblieben? - Nach Jahren des Kampfs und der Verzweiflung: Nestler ist in Schweden, Sträub in Rom, das letzte Jahr arbeitete Wyborny als Programmierer, jetzt hat
er eine Dozentur der New York University angenommen, Rosenthal ist in Südamerika Trickfilmer, Winzentsen und Costard machen Kinderfilme fürs Fernsehen, gelegentliche Fernsehaufträge gibt es auch für Bitoinik und Narocki, Birgit Hein unterrichtet in einer Schule Kunstgeschichte, was machen Winkelmann oder Mommartz?
Kristi malt- Bilder und dichtet, Dore 0, bereitet eine Ausstellung mit Fotografien und gemalten Bildern vor. Ein einziger neuer vielversprechender Filmmacher, Heinz Emigholz aus Hamburg, ist gleich
in die USA gegangen.

Selbst Schroeter und Praunheim müssen sich in Deutschland mit Theater-Machen durchschlagen — oder sie versuchen über den Umweg Frankreich in Deutschland Arbeitsmöglichkeiten zu bekommen. Das gleiche scheint auch mir zu drohen, daß ich nämlich eine Zeit in Frankreich leben müßte, wo sich in den letzten zwei Jahren ein enormes Interesse für meine Filme und für die von Dore gezeigt hat.
Zur Zeit möchten in Paris drei Verleiher die Filme von uns.

Die andere Überlebensalternative als Filmmacher wäre die, die Kubelka vor 15 Jahren schon vorgemacht hatte, nämlich auf die ständigen amerikanischen Einladungen einzugehen und dort an den Unis und Colleges Vorträge zu halten und vom Filmverleih zu leben. Vier Jahre hatte ich in Hamburg im Prokinoff regelmäßig unabhängige (oder wie man sie auch immer nennen will) Filme gezeigt. Jetzt wären (auch für die Coop) andere, neue Leute an der Reihe, denn man selbst will sich mehr auf die Filmarbeit konzentrieren. Welchen Film hat der Theuring nach LEAVE ME ALONE (1970) realisieren können, trotz Preis damals? Der Film ist in der BRD so gut wie nie ausgeliehen worden. Nach einer Nach-Mitternachtsvorstellung in Knokke will ihn jetzt ein Pariser Verleiher in die Kinos in Frankreich bringen. Nachdem deutsche Filmmacher in Frankreich wichtige
Impulse angeregt haben, kommen dann die dünneren französischen Filme ins deutsche Fernsehen, in dem die deutschen Filmmacher meist nur mit mittelmäßigen Arbeiten (wenn überhaupt) mit Ausnahmen eine Chance haben, ihre Arbeiten zeigen zu können.

Selbst Kamerafilme vom ZDF, das als die wildeste Experimentierstube des deutschen Fernsehens gilt, hat bisher Dore 0. oder mich keinen Film produzieren lassen, gar nicht zu reden von den anderen Anstalten. In den letzten zehn Jahren haben Dore und ich ca. 40 Filme gemacht. Vom Fernsehen wurden davon drei Filme gekauft für Trinkgelder, für die wir uns schämen müßten: KELEK vom WDRIII z. B., 60 Minuten für 6000 DM und ein wenig, acht Jahre nach der Fertigstellung und auch nur für eine Sendereihe »Der zu Unrecht im deutschen Fernsehen nicht gezeigte Film« genannt Kritikers Auswahl. Die zehn Filme der Reihe gingen durch alle Dritten
Programme. Bei KELEK machte man aber eine Ausnahme: gezeigt wurde er nur lokal in Köln und Hessen. Obwohl dieser Film eine recht gute Reputation hatte- er wurde mal zusammen mit WEEKEND von Godard als beste filmkünstlerische Leistung des Jahres 1968 mit dem »Bambi« prämiert.

Sich an die Museen und Galerien zu wenden, das möchte man auch nicht, da man immer noch sicher ist, Filme fürs Kino (oder andere Bildungsanstalten) zu machen. Natürlich hat man nichts gegen Aufführungen - wie gelegentlich bei den Documenta-Kunstvereinen oder MOMA oder ähnliches. Ich habe selbst vor zwei Jahren mit mehreren Museumsleitern darüber verhandelt, für Deutschland ein mobiles Anthologie-Filmarchiv einzurichten — nach dem Modell des New Yorker, d. h. ein Kopienfonds wird erworben (die besten Filme
der Filmgeschichte, ca. 100-200 Programme). Dieser Kopienfundus zirkuliert alle zwei Monate von Stadt zu Stadt und die Bewohner haben dort die Möglichkeit, Einblick in die Filmgeschichte zu nehmen. Nachdem der Kreis der Museen-Vorführungen auch durchlaufen ist, beginnen die Vorführungen wieder bei a. Vorteile wären:

a) gemeinsamer Etat der Museen-Kopien liegt nicht brach,
b) viele Museen könnten Filmbildung vermitteln etc., etc.

Die Leute zeigten sich zwar sehr Interessiert, schienen aber die falschen gewesen zu sein. Ich höre soeben, daß diese »falschen« die Leiterin des Museum of Modern Art Pittsburgh eingeladen haben, um sie nach den amerikanischen Museums-Aktivitäten für Film und Video zu befragen, ob man so was auch in Deutschland machen könne.

Das ist ein Problem der nationalen Eingrenzung der Künstler durch die Film-Kunst-»Kritik«, die in Amerika funktioniert und hier nicht, wie Sally Dickson meint.

 

Werner Nekes
erschienen in „Der alte Film war tot. 100 Texte zum westdeutschen Film 1962 – 1987“, Verlag der Autoren, Frankfurt a. Main, 2001

 

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