Gedanken zu Bildern aus Nekes-Filmen

von Bazon Brock

Aus den Anfängen der Foto- und Filmgeschichte sind noch einige jener endlosen Diskussionen überliefert, ob denn nun auch diese neuen Medien in eben jenem Sinne Bildkunst zu sein vermöchten, wie es zum Beispiel die Malerei ist. Nekes hält diese Diskussion für eine Irreführung. Fast gleichzeitig mit der Entwicklung der neuen Medien verwandelte sich die Malerei.

Der Pointillismus in der Malerei entstand aus der vermeintlich endgültigen Analyse des Wahrnehmungsvorganges. Die Pointillisten organisierten die Bildoberfläche ihrer Gemälde so, wie das Auge eine Bildwahrnehmung zerlegt, um sie den entsprechenden Leistungszentren des Gehirns zur Aufarbeitung anzubieten. Der Pointillismus war zumindest schon Filmkunst, wenn auch als Malerei. Das gleiche gilt für den Kubismus, für die dadaistische Collage und vor allem für die futuristische Darstellung von Bewegung im klassischen Medium der Malerei.

Werner Nekes versucht in seiner Filmarbeit, Pointillismus, Kubismus und Futurismus mit Blick auf die Entwicklung der filmischen Ausdrucksformen neu zu werten und die bisher übersehenen Konsequenzen aus der Malerei als Film sichtbar werden zu lassen.

In der Tat hat wohl noch niemand bisher eine über Nekes hinausgehende Entschlüsselung jener vier Kunstrichtungen vom Anfang unseres Jahrhunderts zustande gebracht. Und insofern Nekes mit seiner Kunst am Pointillismus, am Kubismus und am Futurismus neue, das heißt filmische Perspektiven zu demonstrieren vermochte, hat sich seine Filmkunst als wahrhaft leistungsfähige Avantgarde erwiesen.

Nekes interessiert sich gerade als Experimentator für die Vorgeschichte des Kinos. In dieser Vor- und Frühgeschichte nehmen die Gestaltungen mit und durch Licht einen besonderen Rang ein; denn Nekes versteht Filmkunst zu Recht als Lighterature, als Gestalten durch Licht.

Das hier abgebildete Bild aus Uliisses ist eine Lithophanie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: hält man den Steinschnitt gegen das Licht, so erscheint im Positiv ein sogar subtil differenziertes Bild. Ohne die Lichtquelle hat der Stein den Anmutungscharakter von Gemmen. Wie die Gemme ihr Positiv nur im Wachs oder Gips ausbildet, verwirklicht sich die Lithophanie nur im Gegenlicht. "Die Erscheinung im Stein" ist immer als Zauber verstanden worden; vom Bernstein, der ein Tier einschließt bis zum Gral, dessen heilbringendes Strahlen mancher Filmkünstler zum bloßen Glamour auf der Filmleinwand verkitscht.

Zur Vor- und Frühgeschichte des Films gehören natürlich auch die von den bildenden Künstlern entwickelten Perspektiven der bildlichen Darstellung. Der Zentralperspektive und der Auffassung vom Aufbau der Sehpyramide kam dabei in unserer Geschichte eine besondere Bedeutung zu.

Die im 15. Jahrhundert von den Malern theoretisch und praktisch begründete Zentralperspektive ist gerade keine angemessene Parallele zum natürlichen Sehen mit unseren Augen. Sie stellt vielmehr das Sehen so dar, wie eine künstliche Film- und Fotooptik „sieht". Nekes spielt auf die bemerkenswerte Tatsache an, dass es die "Optik der Kamera" lange vor der Kamera gab.

Als Videoclip hätte sich die hier angedeutete Sequenz aus Uliisses gerade wegen der elektronischen Präzision viel schwächer ausgenommen. Zwar wäre es elektronisch viel leichter und perfekter möglich gewesen zu demonstrieren, wie sich der Held Uli als Genosse des optischen Zeitalters in die vielen Rollen einbringt, die uns allen tagtäglich per Film und Fernsehen angeboten werden. Aber bei Nekes spielt Uli nicht nur bildlich voll integriert mit, wenn der Gladiator oder der Bordellkunde auf ihre Opfer zugehen. In Nekes' Verfahren bleiben die unterschiedlichen Bildwirklichkeiten erhalten.

Die Aussagekraft der Nekesschen Filmbilder ist gerade deshalb so unvergleichlich, weil die Unvereinbarkeiten von Sehweisen und Darstellungsformen nicht ausgelöscht, sondern thematisiert werden, und Probleme sind auch im künstlerischen Bildaufbau viel interessanter als die elektronisch perfekteste Könnerschaft.

Dass blinde Hühner auch mal ein Korn finden, ist sprichwörtlich, vor allem, wenn man sie mit weithin hörbarem put put lockt. So findet auch der Kinogänger ab und zu ein wirkliches Stückchen Filmkunst, vor allem, wenn man ihn mit Attraktionen zwischen Sex und Crime verführt. Bis der Betrachter merkt, dass die Filme mit seinem Leben spielen und nicht, wie sie vorgeben, mit dem Leben der dargestellten Personen, ist es zu spät, da ist er schon völlig putt.

Kopflos irrt der Zuschauer über das weiße Feld der Leinwand. Sein Tod, dem er selbst noch zuschaut, ist das perverse Ziel der Kinogangster, die ohnehin davon überzeugt sind, dass man zum Betrachten ihrer Filme nicht auf den Kopf angewiesen ist.

 

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