IX. Ursprünge des Films

Was geschah wirklich zwischen den Bildern?
"Whatever happened between the pictures?", fragte Nekes bereits im Untertitel von T-WO-MEN. Sowohl sein Filmschaffen wie seine theoretischen Überlegungen können als Untersuchung über diese filmisch entscheidende Fragestellung betrachtet werden. Nekes begreift Film nie als ein von den medialen Möglichkeiten entfremdetes Mittel, das sich auf die Überbringung einer Botschaft reduziert. Es ist die Lust, zuweilen die Besessenheit, die filmische Ausdruckskraft selbst zu thematisieren. die den roten Faden des Nekes'schen Werkes ausmachen.Die herkömmliche Filmgeschichtsschreibung setzt als Geburtsstunde des Films die Erfindung von Filmkamera und Filmprojektion der Gebrüder Lumière. Nekes hingegen versteht Film grundsätzlich als Verschmelzung von mindestens zwei Einzelbildern. In WAS GESCHAH WIRKLICH ZWISCHEN DEN BILDERN? konzentriert er sich auf die Entwicklung der Vorgeschichte des Films, in der die vorkinematographischen Pioniere mit Licht schrieben und die Bilder bereits vor der technischen Entwicklung des Films laufen gelernt haben. Diese vor Jahrhunderten einsetzende Vorgeschichte präsentiert Nekes anhand der Inszenierung von optischen Geräten und Spielzeugen aus der eigenen, reichhaltigen Sammlung. Im Unterschied zu früheren Filmen bedient er sich hier einer filmisch konventionellen Gestaltung mit didaktischem Aufbau: Nekes gibt sich als Moderator. Zu Beginn demonstriert er optische Spielzeuge, deren Wirkung auf der Trägheit der Wahrnehmung beruht: Thaumatrop, Zoetrop u.a. Der Hauptteil des Films besteht in der bewegten Darstellung der filmischen Pionierobjekte; hierin liegt die Spannung und Bezauberung, die der Film trotz minimaler ästhetischer Organisation hervorruft.

Im Aufbau und in der Präsentation der Sammlung geht Nekes systematisch vor. Er gliedert die vorkinematographischen Objekte nach folgenden Kriterien: optische Aufnahme- und Wiedergabeverfahren von Zeit und von Raum und die Trägheit der Wahrnehmung. Die Entwicklungen der Camera obscura zur Photographie und der Laterna Magica zur Dia- und Filmprojektion bilden die beiden Hauptstränge. Dazwischen verfolgt Nekes unzählige Seitenwege. Voneinander unabhängige Erfindungen mit den verschiedenartigsten Erscheinungen werden Bestandteile eines Ganzen: der historischen Entwicklung der Erfindungsbegierde nach der künstlichen Wiedergabe des Lebens. Beispiele dieser aus der Magie, Alchimie und anderen dunkeln Wissenschaften entstandenen Erfindungen sind:
-     die Zylinder-Anamorphosen, welche flächig verzerrte Darstellungen durch die Entzerrung mittels eines Zylinderspiegels in räumliche Darstellungen verwandeln (ein Verfahren, das auch im heutigen Cinemascope verwendet wird)
-    das besonders von aussereuropäischen Kuturen entwickelte Schattenspiel.
-    Spiegel- und Linsenstereoskop, in welchen ein Paralaxen-Stereobild räumlich wahrgenommen werden kann.
-    Guckkastentheater, die durch einen Falzmechanismus ausgedehnt und zusammengepresst werden können.
-    Litophanien, welche durch rückseitige Beleuchtung eine neue Bildaussage erzeugen.

In magischer Inszenierung der Geräte und Spielzeuge, die Raum und Zeit darstellen - und die üblicherweise nur in verstaubten Glaskästen von Filmmuseen in leblosem Zustand betrachtet werden können - leuchtet Nekes eine bis anhin verkümmerte Schicht der Archäologie des Kinos aus.

 

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