VIII. Reise ans Licht

Uliisses
Bei chronologischer Betrachtung der Nekes-Filme wirkt ULIISSES wie eine Offenbarung. Der Film ist keinem früheren vergleichbar, dennoch enthält er alle bisher verwendeten filmsprachlichen Mittel verbunden mit der Einflechtung einer erzählerischen Ebene, welche in drei Stränge gegliedert ist: Theaterszenen aus dem 24-Stunden Stück "The Warp" von Neil Oram, ein nach der Homer'schen Odyssee strukturierter Episodenaufbau und die Geschichte von Uli aus dem Ruhrgebiet, ein "Neffe" des Leopold Bloom. ULIISSES ist aber nicht der verfilmte "Ulysses" von Joyce (dieser müsste wie unzählige Verfilmungen literarischer Meisterwerke daran scheitern, dass das Wesen der Sprachkunst ohne mediale Umsetzung nicht filmisch vermittelt werden kann). Die Auseinandersetzung mit Joyce findet auf der methodischen Ebene statt: die Joyce' sche Methode der Sprach-Arbeit setzt Nekes reflektierend auf den Film um.
Nekes, der Erfinder, gebärdet sich als Zauberer und verführt uns auf die Reise einer filmtechnischen und kinomythischen Odyssee: ans Licht. Die Geschichte der Kinematographie ist unmittelbar liiert mit dem Prozess der photographischen Lichtspeicherung. Diese verleiht dem Film Lebensatem: das photochemisch entstehende Korn bewirkt, dass in der Projektion kein Einzelbild identisch mit dem anderen ist.
Die Überfülle der angewandten filmischen Mittel wie auch Demonstrationen von optischen Geräten lässt sich nicht umfassend beschreiben. Drei Beispiele sollen auf das Ganze verweisen: In der Nestor-Episode begegnet Phil/Telemach dem Magier Hans/ Pallas-Athene. Dieser führt ihn in die Geheimnisse des Zoetrops (der Wundertrommel) ein und demonstriert an der wechselweisen konvexen und konkaven Krümmung der Spiegel den Zoom-Effekt. Die Reflexion der Technikgeschichte wird zugleich auf der mythischen Ebene der Odyssee, der Beziehung zwischen Göttern und Mensch, Vergangenheit und Gegenwart sichtbar gemacht.
In der Hades-Episode thematisiert Nekes anhand der Farbe die Grundbedingungen der kinematographischen "Beschreibung" von Zeit und Raum. Uli (gespielt vom Performance-Künstler V.A. photographiert in einer Fabrikruine. Nekes belichtet Ulis Gang durch die verwachsene Fabrikhalle dreimal mit den unterschiedlichen Farbfiltern: Cyan, Magenta und Yellow. Die unbewegten Bildkomponenten erscheinen in den realen Farben, während alles, was sich bewegt, in den drei verschiedenen Farben erscheint; da Uli dieselbe Szene dreimal, aber nicht identisch spielt, gehen drei verschiedenfarbige Personen durch den Raum.
Uli, der Photograph, vernichtet in der Ithaka-Episode die Freier der Tabea/Molly/Penelope, indem er sie während des photographischen Prozesses zerfallen lässt. Uli stellt nicht die üblichen Papierabzüge als Beweisstücke her; er erinnert sich an die Mühsal der Photographen-Pioniere, die wohl Lichtbilder speichern aber nicht fixieren konnten und nützt sie für seine Zwecke aus: Die Negative werden auf lichtspeicherndes Phosphorpulver projiziert, welches auf einer eingerahmten Sandfläche liegt. Beim Bewegen des Rahmens kommt der Sand ins Rutschen und das Bild des Freiers zerfällt.
Die zahlreichen Zitate aus der Filmgeschichte in ULIISSES
(Groucho Marx, Marilyn Monroe, LADY FROM SHANGHAY, LAWRENCE
OF ARABIA, CASABLANCA) weisen darauf hin, dass sich Nekes der Kinotradition zugehörig betrachtet. So hält er es für selbstverständlich, dass seine Filme im Kino gezeigt werden. ULIISSES stemmt sich aber entschieden gegen die vom Erzählkino tradierten Sehgewohnheiten. Er fordert uns auf, bisher verkümmerte Leistungen der filmischen Gestaltung durch eine aktiviertere Wahrnehmung zu ergründen: zum mehrfachen Hin-Sehen und Hin-Hören.

"Die aufregendste Dimension des Films tut sich auf, wenn man begreift, dass die Pole, zwischen denen die Erfindung der Bilder fluktuiert, optisches Spielzeug auf der einen Seite und Wissenschaft auf der anderen sind, wenn man über den Gang der Bilder eine Idee davon bekommt, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Experimente zwar nicht unbedingt dem Zufall ausgeliefert sind, aber doch da, wo sie am neuesten sind, abhängen von Intuition. Wie die neuen, die künstlichen Zusammenhänge, die die Wissenschaft schafft, sich treffen mit den Spielphantasien der Kinder, die sich ihre Möglichkeiten erfinden, um eine Gegenwelt aufzubauen zur allmächtigen Realität, über die wir durch die Wissenschaft erfahren, auf welchen fadenscheinigen Sehillusionen ihre Ansprüche beruhen."
Frieda Grafe, Beschriebener Film, 1974-1985 Die Republik, Nummer 72-75, S. 226-227

 

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