VII. Bewegung und Rhythmus

Blick aus dem harmonischen Gefängnis
Immer wieder wird behauptet, dass schon die frühen Bilderschriften der Ägypter einer Ausdruckslogik gehorchten, die wir als Eigentümlichkeit des Mediums Film kennen gelernt haben. Nekes verfiel auf den Gedanken, eine ägyptische Bildschrift als Film zu realisieren. Dabei hätte sich gegebenenfalls die tote Sprache in der Bewegung durch den Film mitteilen müssen, wie sich uns beispielsweise ein Nekes-Film mitteilt.
Die in unserem Auge für die Aufnahme von Bewegungsabläufen wesentlichen Stäbchenrezeptoren überträgt Nekes in das Bühnenbild, wobei die Abfolge von Schwarz/Weiß Feldern auch ganz allgemein für ihn "Film" signalisiert. Subtil und humorvoll wird hier die Ausgangslage zu einer Tautologie, in der sich der Betrachter wie in einem Gefängnis eingeschlossen empfindet. Die Folge der Schwarz/Weiß Streifen wird als Gefängnisgitter gelesen. Anders als beim Film, wo das Schwarzfeld tatsächlich ein Nichtbild zwischen zwei Bildern ist, bleibt beim Gitter auch der Zwischenraum zwischen den Stäben undurchdringlich.

Übrigens waren schon die Pyramiden riesige Projektionsmaschinen wie alle Grabmonumente. Sie projizieren die Verstorbenen als Geister ins Schattenreich. Demzufolge glaubten auch die so genannten Wilden, dass sie sich nicht fotografieren und filmen lassen durften, weil ihnen der Tod drohe, sobald sie als Schattengestalt auf den Film gebannt würden.
Bazon Brock



Hurrycan
Wie fast alle Nekes-Filme hat auch sein neuester, HURRYCAN, keine Handlung in dem Sinn, dass eine inhaltliche Botschaft verkündet wird. Problematisiert ist vielmehr die filmische Bewegung als solche. Der Film setzt sich aus kleinen Szenen zusammen, - etwa ein Mann, der Holz hackt, eine Frau auf der Couch und ein Mann, der um sie herumgeht, Kinder beim Spielen, ein halbnacktes/nacktes, tanzendes Mädchen, ein Blick in das Atelier einer Lichtbildnerin u.a. Diese Szenen werden nicht in üblicher Weise einfach abgefilmt. Der Zuschauer sieht vielmehr eine rasende Flut von nur Bruchteile von Sekunden dauernden Bildern, die in verschachtelter Weise etwa den holzhackenden Mann zeigen. Nach einer Weile der Eingewöhnung, des ruhigen Betrachtens, wachsen diese Bilder für den Zuschauer zu einer neuen, bewegten Einheit zusammen. Als ich den Film in Berlin gesehen habe, sagte mir ein Bekannter, der schon nach wenigen Minuten das Kino verlassen hatte, er habe es nicht länger ausgehalten, da ihm seine Augen wehgetan hätten. Anderen, mit denen ich gerade geredet habe und auch mir selbst ging es gerade umgekehrt. Durch die schnelle Abfolge der verschachtelten, zeitlich verschobenen Bilder hindurch entsteht eine neue Einheit von Bildern, z.B. der holzhackende Mann, die Axt hebend und gleichzeitig das Holz auseinandersplitternd. Diese Bildereinheiten wirken über die ganze Länge des Films, der 90 Minuten dauert, beruhigend und entspannend und gleichzeitig faszinierend, was noch unterstützt wird durch die Leichtigkeit der gespielten Szenen und die ragtimeartige, an Unterhaltungsfilme der 20er Jahre erinnernde Klaviermusik, die unterlegt ist. Wie für einen Abenteuerfilm die Handlung, so wichtig ist für HURRYCAN die Machart, ohne deren Kenntnis das Verständnis des Films erschwert ist. Während Nekes in seinen bisherigen Filmen, wie im Übrigen üblich, das Filmmaterial nach der Aufnahme mechanisch geschnitten und in einer bestimmten Reihenfolge wieder zusammengesetzt hat, machte die Aufnahmetechnik in HURRYCAN ein Schneiden des Materials überflüssig. Den Effekt, dass der Zuschauer durch die Bilderflut hindurch eine neue, bewegte Bildereinheit sieht, erzielte Nekes durch ein zusätzliches, von ihm selbst konstruiertes Blendenshutter, das vor dem Objektiv der Filmkamera angebracht ist und die Zeit in Aufnahme- und Verschlusszeiten segmentiert. Dieses Blendenshutter nimmt beim Durchlauf des Films eine vorher beliebig festgesetzte Bildzahl auf bzw. nicht auf. Die unbelichteten Bildzahlen werden im zweiten oder dritten oder x-ten Durchlauf belichtet, wobei die zuvor belichteten unbelichtet bleiben. Eine Doppelbelichtung findet also nicht statt. Auf diese Weise entsteht eine Filmsprache, die mit dem normalen Auge nicht Wahrnehmbares jetzt sichtbar macht. Er erspart sich hierdurch im Übrigen immens aufwendige Schneidearbeiten. An HURRYCAN, den Nekes in 6 Tagen gedreht hat, hätten bei herkömmlicher Schneidetechnik 5 Leute nahezu 3 Jahre gearbeitet.

Albrecht Osswald
De Schnüss, Bonn, 6/1979

 

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