VI. Bilderweiterung

Zwischen den Bildern
Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Film ZWISCHEN DEN BILDERN, einem dreiteiligen Film, den die Stiftung Deutsche Kinemathek im Auftrag des ZDF hergestellt hat: "Filmmontage ist die Organisation von Bildern und Tönen. Diese Organisation hat eine Geschichte". Im dritten Teil des Films "Über die Trägheit der Wahrnehmung" (von Klaus Feddermann und Helmut Herbst, 58 min.) reflektieren Filmemacher wie Jean-Luc Godard, Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, Alexander Kluge, Klaus Wyborny und Werner Nekes ihr Verhältnis zum Schnitt, zur Montage und damit zur Geschichte des Films. Gezeigt wird der 12 minütige Ausschnitt von/über W. Nekes.

„Wenn ich jetzt so gesehen werde, wenn ich mich bewege, dann vergessen wir leicht, dass wir nur eine bestimmte Artikulationsfähigkeit der filmischen Sprache benutzen. Es gibt deren mehrere. Es gibt deren unterschiedliche. Ich behaupte, dass sie nur graduell voneinander unterschieden sind. Wenn ich mich nicht bewege, dann montiert der Film den Fluss des Lebens, als ein Raum-Zeit-Kontinuum.

Eine Voraussetzung, Bedingung des Sehens, die der Film ausnutzt, ist die Trägheit unserer Augen. Das Beharrungsvermögen des Sehsinns. Ein Lichtpunkt in schneller Bewegung wird zur Lichtlinie oder zu einem Kreis aus Licht. Optische Spielzeuge verkörpern schon vor der Existenz des projizierten Films die Prinzipien der Filmmontage. Das Thaumatrop verschmilzt große Bildunterschiede zu einer neuen Form oder Gestalt. Blätterbuch oder Praxinoskop nutzen die geringen Differenzen zwischen den Bildern zur Bewegungsverschmelzung. So hatte das 19. Jahrhundert bereits seine gezeichneten Schlaufenfilme, basierend auf großen oder kleinen Bildunterschieden."

Werner Nekes
(Auszug aus der Dialogliste)



Tarzans Kampf mit dem Gorilla
Ein "Dschungelfilm", kompiliert aus den Geräuschen, Urlauten, Bildern und Dialogen der Gattung, die vor dem Hintergrund "neutraler" Szenerien und Szenen ein zweites Leben entfalten: dschungelhaft wirkt weniger, was dazu veranstaltet war, als die zum Kontrast zitierte Normalsphäre aus Alltagsdialogen, in denen belanglose Konversation zum Zeremoniell gerät und ein Reigen des Einander-Vorstellens sich wie ein makabres Namenballett aus der "Kahlen Sängerin" oder den "Stühlen" Ionescos anhört. Dschungelhaft wirkt endlich auch die Silhouette aus Parkbäumen, der der Dschungelfilm Ton leiht: ein stehendes Panorama unaufhaltsam fortschreitender Anarchie.

Jörg Peter Feurich
Filmkritik 2/1970, S. 100/101




Mirador
MIRADOR, im unfreundlichen Dezember 1977 in Hamburg gedreht, ist ein Film über diese Stadt: Über Don Quichotte und Sancho Pansa (Günter Tuzina, Claus Böhmler) und über manche Freunde von Nekes und Dore 0. Trüb spiegeln sich Fleete, Fabriken, Duckdalben und Industriehallen ein. 3 Monate später zogen Nekes und Dore 0. und Rona nach Mülheim um. MIRADOR und die weggespiegelte Stadt (Nekes hat für diesen Film Spiegelmaschinen konstruiert und gebaut); ein Expeditionsbericht (eine winterliche Segelfahrt elbabwärts) und ein Dokument über Filmmacher, die eine Stadt verlassen, weil es woanders wirtlicher ist. Reflexionen, Reflexe. Von den Hamburger Filmemachern, die die Stadt in den letzten zehn Jahren zu einem Zentrum des experimentellen Films gemacht haben, blieben Helmut Herbst ("John Heartfild, Photomonteur") und die Winzentsens. Für die anderen bot sich Arbeit nur woanders. Klaus Wyborny ("Pictures of the lost world") schätzt man in den USA. Er lehrt an der Universität in Ohio. Heinz Emigholz zog nach New York, Bastian Clevé ("San Francisco Zephyr") nach Los Angeles, Hellmuth Costard ("Der kleine Godard") und Bernd Upnmoor (für alle Filme der Nekes-Trilogie Kameramann) bekamen Lehraufträge an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin.

In Hamburg gibt es keine Ecke, wo man die experimentellen Filme kontinuierlich sehen kann. Schon immer fanden die "Hamburger" Filmemacher ihre Aufführmöglichkeiten außerhalb der Stadt - die bei ihrer Devise blieb: gar nicht drum kümmern. Das experimentelle Zentrum ist kaputt. Und jetzt ist es auch hier so öde wie in der Innenstadt nach Geschäftsschluss. Hamburg, der pikareske Bericht und die Spiegelallegorie einer trüben Wirklichkeit, für die Dogmatiker des experimentellen Films werden die Verweise auf den "Inhalt" schreckliche, ganz schreckliche Sünde sein.
Halten wir es also fest: Werner Nekes passt nicht ins Klischee vom experimentellen Künstler, der sich in die Innerlichkeit versenkt und die routinierten Kinogänger mit Unverständlichem anödet...

In MIRADOR (dem Beobachtungsposten auf der Zinne) arbeitet Nekes mit seinen selbst konstruierten Spiegelmaschinen, die vor das Objektiv der Kamera gesetzt und mit ihr verbunden sind. Die Spiegel drehen sich um diverse Achsen, sind halbdurchlässig, realisieren ein Bild in der Luft (Projektion durch einen Zweiwegspiegel auf reflektierende Spezialfolie). Spiegel, die germanischen Schattensteine, schaffen neue Wirklichkeiten, bieten neue Abenteuer. Und die "Abenteuer im Reich der Schattensteine", so der MIRADOR-Untertitel, stellen selbst den sehr realistischen Mittelpfeiler der Hamburger Köhlbrandbrücke in Frage, suggerierend, die spiegelsymmetrische Wirklichkeit sei nicht von Bestand.

Dietrich Kuhlbrodt
DIE ZEIT, 21.4.1979

 

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