V. Kommunikationsstörungen

Zipzibbelip
„Eine Groteskrevue vergeblicher Verrichtungen und solcher der Form gewordenen Frustration: über den vergeblichen Versuch, einen Slip zu schließen, das Scheitern eines Kavaliers, einen Voyeur oder ein Turniertanzpaar; fünf Szenenfragmente, im Vor- und Rücklauf, Kopf stehend und aufrecht, beschleunigt und in verschieden kurzem Schnitt wiederkehrend.“ Jörg Peter Feurich, Filmkritik 2/1970
Nekes' Auseinandersetzung mit filmischen Ausdrucksformen ist zugleich immer auch eine Beschäftigung mit den Strukturen der verschiedenen Genres. Um innerhalb des Genres subversiv tätig werden zu können, muss es vorerst einmal reproduziert werden, damit sich die gängigen Erwartungshaltungen auch einstellen. Daher ist auch ZIPZIBBELIP zu Beginn ein fast klassischer Slapstick-Film, der die programmierten Lacher auf seiner Seite hat. Doch dann hinkt der Film, hat einen Plattensprung, die fünf Szenenfragmente wiederholen sich endlos. Verärgerung stellt sich beim "Durchschnittslacher" ein, denn das ungeduldige Warten auf einen neuen Gag zwingt den Neugierigen weiter hinzusehen. Indem aber die Erwartung des Zuschauers durch den Film nicht eingelöst wird, stellt sich bei ihm ebenfalls Frustration ein, da er vom Geschehen auf der Leinwand eingeholt wird. Kriecht der Zuschauer jedoch den Slapstick-Mustern nicht auf den Leim, gibt es noch ganz anderes als Frustration zu entdecken. Denn ein Grundelement dieses Slapstick, das Auskosten der Tücke des Objekts, wird um eine entscheidende Dimension erweitert: die Tücke der Form. Die Vordergründigkeit des Gags und das befreiende Lachen über die Ungeschicklichkeit der andern werden durch das Prinzip der Wiederholung umgewertet. Das Interesse wendet sich von der voyeuristischen Teilhabe an der Unfähigkeit der beobachteten Geste ab und richtet sich auf den formalen Bewegungsablauf, der als Studie fasziniert. Das "wellenförmige" Montageprinzip von fünf verschiedenen Szenen im Vor- und Rücklauf, bei dem verschieden kurz geschnitten wird, ergibt einen rhythmischen Sog, durch den die unvollendete, die gescheiterte Bewegung nur noch als reine Form wahrgenommen wird.
Der optische Rhythmus wird kontrapunktisch durch den Ton - ein Sammelsurium deutschester Schunkellieder - überlagert. Dadurch stellt sich die provozierte Ambivalenz von der (thematisierten) Perversion der falschen Bewegung und ihrer Formalisierung ein.



Lagado
Um beim Schnitt präziser arbeiten zu können, drehte Nekes diesen Film auf 35mm. Sieht man jetzt diesen Film im Kino, so kann man sich kaum vorstellen, ihn woanders als nur dort sehen zu wollen. Lagado, Experimental-, Lehr- und Spielfilm, ist zugleich ein echter Kinofilm, weil so intensiv nur im Kino erfahrbar.

In etwa zwanzig Sequenzen demonstriert Nekes die Möglichkeiten und Funktionen des Originaltons und dessen Verhältnis zum bewegten Bild. In Szenen, die an die Stummfilmzeit erinnern, ersetzt er ihn durch Musik, benutzt ihn dann wieder zur atmosphärischen Untermalung oder lässt ihn zum, den Bildern vorrangigen Informationsträger werden. Anders, als gewohnt, ist hier jedoch in erster Linie die Art, wie der Originalton eingesetzt wird, und erst in zweiter sein Informationsgehalt wichtig. Sprache wird auf ihre Funktion als Kommunikationsmittel reduziert: Sätze und Wörter werden bis zur Unverständlichkeit zerschnitten und nach mathematischen oder musikalischen Mustern neu zusammengesetzt; Pausen, Satz- und Wortfetzen werden zu grammatikalischen Bestandteilen einer neuen optisch/auditiven Syntax, deren Demonstration jedoch nie zum Selbstzweck wird: Eine Frau, eingegrenzt von zwei überdimensionalen Pappköpfen, sagt minutenlang immer denselben Satz, von dem nur noch Laute und Silben zu verstehen sind, der Rest wurde im Ton weggeschnitten.

Ganz gleich, wie genau man nun darüber Bescheid weiß, wie hier technisch vorgegangen wurde, so scheint es einem doch, als könne diese Frau nur stammeln, als schnappe sie nach Sprache wie ein Fisch nach Luft. Angestrengt versucht man, sie zu verstehen, eine eigene Geschichte entsteht im Kopf des Zuschauers, und schließlich versteht er sie tatsächlich: sie redet vom Schweigen. In immer neuen Kombinationen von Bild und Ton gelingt es Nekes, dem Zuschauer auf spannende und unterhaltende Weise das Funktionieren seiner eigenen Wahrnehmung, den Weg vom Zusehen, Zuhören zum Verstehen bewusst zu machen. Mit Bildern von großem sinnlichen Reiz versetzt er den Zuschauer dann wiederum, fast wie zur Entspannung, in optischen Rausch, wo Sprache nur noch als Gedanke zu den Bildern existiert.

Der Titel des Films bezieht sich auf Lemuel Gulliver. der auf seinen Reisen die Akademie in Lagado besuchte, wo Wissenschaftler unter anderem mit einem Plan zur Abschaffung aller Wörter überhaupt beschäftigt waren, weil, wie sie meinten. "das außerordentlich gesundheitsfördernd und zeitsparend wäre". Die Sprache schafft Nekes hier nicht ab, er benutzt sie als Modell, das uns befähigt, mit- und weiterzudenken, uns unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Damit schafft er gleichzeitig das Gefühl, im engen Kinosaal frei atmen zu können - "gesundheitsfördernde" Kinoerfahrung.

Doris Dörrie
Süddeutsche Zeitung, München, 20.5.1977

 

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