IV. Film und Bildende Kunst

Beuys

Beuys entfaltet die Grundzüge seines Kreativitätsbegriffs, indem er, sichtlich um Worte ringend, vor einem zugemauerten Fenster gegen die Wand (an)spricht. Man spürt förmlichst die Ausweglosigkeit der Situation, die physische Bedrängnis, das Fehlen des Raums, um einen Gedanken oder auch nur eine grosse Geste zu entwerfen. Der romantische Ausblick in eine bessere Zukunft ist versperrt, der Künstler-Prophet hat kein Publikum mehr, das seinen verbalen Weltentwürfen zuhören will. Sein Diskurs über Kunst und Kreativität verhallt an der schweigenden Mauer, bleibt somit Selbstgespräch. Als Beuys dem toten Hasen die Bilder erklärte, machte das durchaus noch Sinn, war eingebunden in den (privat) mythologischen Zusammenhang seiner Weltsicht. Die Wand und das zugemauerte Fenster führen jedoch das implizite Scheitern des vor ihr Klagenden überdeutlich vor Augen. Und doch ist Beuys als sprechende Plastik schon wieder Teil seiner eigenen Mystifikation: der Rufer in der Wüste, der unbeirrbare Schamane, der sich in keiner Situation von der "Wahrheit" seiner Mission abhalten lässt. Seine Schlussworte "...dass dieser ganze Ansatz...", die ihm wie eine borstige Lautskulptur im Halse stecken bleiben, sind denn auch mehr als Selbstironie zu begreifen. Einer der eloquentesten Künstler, der sein Werk mit einem in sich geschlossenen, unangreifbaren verbalen Erklärungsmodell umhüllte, verfällt in Sprachlosigkeit.' Das kann ja nur ein augenzwinkernder Affront gegen das unsensible Energieaggregat an seiner Seite sein. Die Zentralheizung als Wärmespeicher und Beuys' Kreativitätsbegriff, das kann einfach nicht zusammengehen. Doch auch sein Schweigen soll nicht überbewertet werden:

Visual arts
von Joseph Beuys

Der in der Moderne grassierende Begriff von "Visual Arts" ist ja ein Symptom für die Verkürzung der Wahrnehmungskategorien innerhalb der menschlichen Kreativität im Ganzen. Ein anthropologischer Kunstbegriff - und ich habe ja nachgewiesen beispielsweise in der Theorie der Plastik, dass man eine Plastik hört, bevor man sie sieht, dass also das auditive Element zur Wahrnehmung bildender Kunst durchaus und nicht nur gleichberechtigt dazugehört - bringt einen ja in die Aufgabenstellung" den Kreativitätsbegriff nach allen Seiten hin zu erforschen, auszubreiten und anthropologisch zu begründen. Beispielsweise hat man beim menschlichen Kreativitätspotential im ganzen natürlich durchaus nicht nur mit den Erkennungskriterien im Denken zu tun, also beim Formpol, könnte man sagen, sondern man hat es zu tun mit den Empfindungskategorien in der seelischen Mitte, könnte man sagen, also mit dem bewegenden Element, und man hat es durchaus zu tun mit dem Willenspotential im menschlichen Willen. Erst eine solche Auslegung des menschlichen Kreativitätspotentials zunächst in der Dreierposition und in den Zusammenhängen von Willen, Gefühl- und Denkkategorien, bringt einen in die differenziertere Position, auch über die Wahrnehmung, also über den Sinnzusammenhang des Menschen nachzudenken und dann festzustellen, dass beispielsweise der Sehsinn, der Hörsinn, der Gleichgewichtssinn, der architektonische Sinn, der haptische oder der Tastsinn fort zu denken ist in den Gefühlssinn, den Willenssinn, den Denksinn und in noch viele andere noch zu entwickelnde Sinne.
Das heisst: der Mensch ist in seinem kreativen Potential ein sich entwickelndes Wesen, das in der nächsten Kulturepoche, auf die wir ja hinwollen, wohl der Begriff der Selbstbestimmung des Menschen an allen Arbeitsplätzen zur freien Entfaltung menschlicher Fähigkeiten führen kann, durchaus die Möglichkeit vor uns haben- neue Sinnesorgane zu entwickeln, neue Kreativitätsqualitäten in den vorgegebenen Wesenheiten oder Entitäten von Willenspotential, Gefühlspotential, also Bewegungspotential und intellektuellem Form- und Denksinn zu entwickeln. Ich konnte also einigermassen abschätzen, als ich meine primordialen Materialien gewählt habe wie Fett, Filz und Kupfer, dass solche Materialien in der Zeit, in der ich lebe, provozierend wirken würden, das heisst, die Fragestellung über Sinn und Zweck hervorrufen würden. Es sind solche Materialien also nicht gewählt, um noch einmal das zu machen, was bereits durch Duchamp gemacht worden ist, also in gewisser Weise zwar eine Revolution im Museum zu vollziehen und dann die Konsequenzen auf den Kapitalbegriff nicht zu ziehen - das konnte ich mir nicht leisten - sondern solche Materialien haben sich als die adäquaten, also im Sinne von Fett zum Willenspotential, im Sinne von Kupfer zum Bewegungselement und im Bezug auf Filz zum isolierenden analytischen Charakter im Denken erwiesen. Die Theorie der Plastik beinhaltet also die Möglichkeit, den gesamten sozialen Organismus auf eine neue Ebene, also auf eine neue Höhe, also auf eine zukünftige Menschheitskultur hin zu orientieren, und zu gleicher Zeit die Massnahmen, die ergriffen werden sollten, um aus der vorgegebenen Form in eine zukünftige zu kommen, ganz systematisch hintereinander zu nennen. Um also noch einmal auf das Wollen zu sprechen zu kommen, muss man auch einmal sich mit dem Wärmebegriff auseinandersetzen, der des Öfteren von mir in der Theorie der Skulptur auftaucht, als quasi einer Möglichkeit, das Zukünftige in diesem Wärme- oder Willenselement als einem, ich könnte auch sagen ästhetischen Wollen, regelrecht auszubrüten. Dass dieser Brutvorgang im wärmemässigen Chaotischen zwar beginnen kann, aber durchaus einer Strategie und einer Taktik bedarf, um in die zukünftige Möglichkeit des Menschen hineinzuführen, das hat sich allerdings gezeigt, auch durch die kritischen Anwürfe, die gegen einen solchen Versuch gemacht wurden, wodurch der Autor jeweils in die Notwendigkeit versetzt wurde, entsprechend tief zu begründen. Dass dieser ganze Ansatz ... dass dieser ganze Ansatz... dass dieser ganze Ansatz ... [Ende]
Transkription des Textes, den Beuys im Film BEUYS spricht.


Amalgam
Das Thema dieses vierteiligen Films bildet die Lichtmalerei, die Malerei mit kinematographischen Mitteln und kann daher vor allem einmal als Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst verstanden werden. Im Gegensatz zu den bildnerischen Versuchen des frühen 20. Jahrhunderts, die Licht, Bewegung und Zeit mit malerischen Mitteln in die Zweidimensionalität der statischen Leinwand umsetzten, versucht Nekes pointillistische und kubistische Darstellungsprinzipien mit rein kinetischen Mitteln auf den Punkt zu bringen, der von diesen Künstlern intendiert war, jedoch mit dem "ungeeigneten" Medium Malerei unerreichbar blieb: Zeit, Raum und Bewegung in der Totalität ihrer Möglichkeiten darzustellen.
Bereits in den 20er Jahren entdeckten einzelne Künstler die Möglichkeiten des Mediums Film und benutzten dieses zur Umsetzung ihrer Zielvorstellungen. Doch es bedurfte vorerst einer allgemeinen Entwicklung der filmsprachlichen Mittel und vor allem der Erfindung spezifischer technischer Hilfsmittel (auch durch Nekes), bis die Bildideen der historischen Avantgarde mit dem Medium Film sinnvoll umgesetzt werden konnten.

In AMALGAM wird visuelle Wahrnehmung und Wirklichkeitsaneignung zu einem genuinen visuellen Erlebnis, bei dem die ideelle Konzeption und die theoretischen Implikationen das Sehvergnügen erhöhen, es jedoch nicht bedingen. Die Mittel der optischen Bearbeitung des Filmmaterials, die dieses visuelle Lehrstück ermöglichen, sind kompliziert und vielfältig. Das Ausgangsmaterial wird durch unterschiedliche Blendenfahrten in den Einzelbildverlängerungen von 120er, 60er, 20er und 10er Blenden doppelbelichtet. Oder es wird, zum Teil gar in dreifacher Versetzung, in Lichtwellenbergen mehrfachbelichtet. Die Einzelbilder werden jeweils auf 4 Bilder verlängert und mehrmals in Kontrast zur realen Filmaufnahmezeit gesetzt.


KNOTEN
Anhand eines banalen Bildmotivs (eine archaische Waldarbeiteridylle) wird die divisionistische Lichtanalyse Seurats in eine raum-zeitliche Struktur eingebunden. Die Licht-Gegenstand-Beziehung wird so nicht nur mittels des rasterartigen, rhythmisierten Bildaufbaus thematisiert, sondern durch die Verwebung von Figuren- und Filmbewegung, Real- und Filmzeit in ihrer komplexen Problematik (Darstellbarkeit von Wirklichkeit mittels sinnlicher Wahrnehmung) veranschaulicht.


GEWEBE
Die Form eines im Wasser ruhenden Körpers wird durch Wellenbewegungen optisch aufgelöst. Nekes setzt dieses Phänomen mit den filmischen Mitteln der Mehrfachbelichtung in Lichtwellenbergen um. Die Brechung bzw. vorübergehende partielle Auflösung der bewegten (Körper)Form findet ihre Entsprechung in der bewegten optischen Schichtung und raum-zeitlich begrenzten Auflösung des konkreten Bildmaterials durch das Medium Film. Zugleich offenbart sich durch den Zusammenprall von "verfestigtem" und "flüssigem" Wasser (der menschliche Körper besteht ja zu 90 % aus Wasser) eine optische Textur, die die Fragilität des menschlichen Körpers visualisiert, denn zuweilen vermeint man in einen operativ geöffneten Leib zu blicken. Die Grenze zwischen fester und sich auflösender Materie wird ebenso fliessend wie die zwischen einem scheinbar fest gefügten Bild der Wirklichkeit und dem dieses hinterfragenden künstlerischen (filmischen) Zugriffs.


TEXTUR
Dieses eigenwillige Filmstück kann als die Umsetzung des Bildes NU DESCENDANT UN ESCALIER von Marcel Duchamp in die Sprache des Films bezeichnet werden. Die Umkehrung des kubistischen Formprinzips, indem nicht eine (männliche) Figur in raum-zeitlicher Kontinuität in Einzelbewegungen aufgelöst wird, sondern die Zusammenführung, die Verschmelzung von fünf verschiedenen (weiblichen) Bewegungsfiguren zu einer einzigen, fünffach gebrochenen Gestalt im dreidimensionalen filmischen Raumillusionismus. Figurenverschmelzung und -differenzierung gerinnen so zu einer Visualisierung atektonischer Bewegungstotalität in einem strukturierten (tektonischen) Bildraum.


GEFLECHT
Ein Geflecht von 23040 pointillistischen Bildern, die jeweils nur in ihrer Beeinflussung durch das vorhergehende und das nachfolgende Bild (simultane Wahrnehmung durch Überblendung oder Mehrfachbelichtung) wahrgenommen werden können. Die bereits in der Kamera bearbeiteten Einzelbilder werden 10 bis 120fach verlängert. Durch die aus- bzw. einblendenden Verlängerungen werden die verschiedenen Ausgangsbilder zu einem Geflecht verwoben.
"Die Rezeption von Nekes-Filmen schwankt gewöhnlich zwischen der kühlen intellektuellen Freude am Aufspüren der benutzten Baustrukturen einerseits und dem emotionalen Entzücken über visuelle Entdeckungen und Sichtbarmachungen andererseits.
Ein nur scheinbarer Gegensatz im übrigen, den Nekes nicht gelten lässt, denn das eine resultiert schliesslich in hohem Masse aus dem andern. ( ... ) Denn genau darin liegt die unerhörte Stärke von Nekes: schon im Rohzustand 'schöne' Bilder erlangen durch die Bearbeitung und Verarbeitung oft fast hypnotische Intensität. Sebastian Feldmann hat diesen Zwang zur Verarbeitung einmal auf Nekes' Angst vor dem ästhetischen Bild zurückführen wollen. Genau das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein: erst die Umsetzung eines Bildes in die filmspezifische Sprache kann ein Film-Bild höchster Intensität hervorrufen."
Ingo Petzke über GEFLECHT
in: Bericht über die 22. Westdeutschen Kurzfilmtage, Oberhausen 1976


Makimono
Von einem festen Kamerastandpunkt aus wird eine schwedische Landschaft gefilmt. Ausgehend vom "objektiven" Abbild der Landschaft durch ruhige 360'-Schwenks, wird diese durch immer kompliziertere filmische Eingriffe - Überblendung und Doppelbelichtung gegensätzlicher Kamerabewegungen etc. - allmählich zu einem Schwindelerregenden abstrakten Bild. Filmische Wirklichkeit ist die Produktion von Wirklichkeit gemäß den dem Medium eigenen Möglichkeiten. Daher reproduziert Nekes nicht eine Landschaft als abgefilmte Bewegung, sondern produziert Landschaft mittels der medialen Wirklichkeit der künstlichen filmischen Bewegung. Sehr behutsam werden uns in diesem Film die Möglichkeiten filmischer Ausdrucksweise vorgeführt. Zugleich bildet dieser Film einen faszinierenden Anschauungsunterricht wie sich platter Abbild-Realismus in rasende kalligraphische Abstraktion verwandeln kann. Formal nähert sich dieses "action filming" der auf die subjektive informelle Zeichengebärde ausgerichteten Ausdrucks-Kalligraphie von Hans Hartung, intentional entspricht es jedoch mehr Kandinskys Absicht der Systematisierung der künstlerischen Ausdrucksmittel zu einer totalen und unabhängigen Wirklichkeit des Geistes. Der Titel MAKIMONO weist auf das asiatische Rollenbild hin, das eine Landschaft zeigt. Die fernöstliche Zeichensprache ist der spontanen Zeichengestik Hartungs verwandt - er bedient sich ab und zu auch deren Zeichenmodell -, da sie für jeden neu entdeckten Sachverhalt eine ihm adäquate Figuration kreiert.
Zugleich verweist der Titel auf die Verwandtschaft zum abstrakten Film der historischen Avantgarde. Viking Eggeling und Hans Richter fanden den Weg zum Film u.a. über die Bildrollen, in denen sie die dynamische Bewegung (noch) mit malerischen Mitteln darzustellen versuchten. Für den abstrakten bzw. absoluten Film, der wie MAKIMONO ausschließlich nach rein filmischen Gesetzen gestaltet ist, spielte die Interdependenz von Film und bildender Kunst eine bedeutende Rolle. Dies wird z.B. auch in Nekes’ AMALGAM reflektiert. Und da sein Werk stets auch die Frucht der Auseinandersetzung mit der Früh- und Vorgeschichte des Films darstellt, muss hier in Erinnerung gerufen werden, dass der eigentliche Ursprung des abstrakten Films in der kinetischen Schaukunst des 18. und 19. Jahrhunderts liegt.
H. Hartung: ohne Titel

 

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