II. Bild-Felder - Liebesräume

jüm-jüm
JÜM-JÜM entstand gemeinsam mit Dore 0., der Filmmacherin und Malerin, mit der Nekes seit 1967 zusammen lebt und arbeitet. Zum ersten Mal erzeugt Nekes durch die Montage eine neue, filmische Bewegung - nicht zu verwechseln mit der Bewegung des gefilmten Objekts. Der Aufbau ist einfach: Dore 0. schaukelt vor dem Hintergrund eines von ihr gemalten Bildes, das einen schematisch überdimensionierten Phallus darstellt. Nekes strukturiert diese spielerisch gleitende Bewegung, die vor diesem Hintergrund als ein ritualisierter Liebesakt betrachtet werden kann, nach einer strengen "ästhetischen Organisation" und setzt dadurch die physikalischen Gesetze der Schaukelbewegung außer Kraft. Sie wird in einer aufwendigen Schnittarbeit in Bildfelder von je vier Einzelbildern zerlegt und nach mathematischen Strukturen neu zusammengesetzt (In späteren Filmen wird Nekes - aus praktischen Gründen die Bildfelder mit einer selbstgebauten, computergesteuerten Shutter-Blende in der Kamera montieren. Diese vor dem Kameraobjektiv aufgesetzte Blende steuert die Lichtzufuhr auf das Zelluloid und ermöglicht so die phasenweise stattfindende Belichtung von verschiedenen Bildfeldern.). Im neu organisierten Bewegungsablauf enthält die Bewegung von links nach rechts zugleich die Bewegung von rechts nach links und umgekehrt. Mit der Zerlegung der Schaukelbewegung in vier Einzelbilder schuf Nekes - damals noch unbewusst - die Grundlage seiner Filmtheorie, deren Ziel in der Umwandlung des Bildmaterials in Informationsenergie besteht (vgl. S. 147ff). In einer abbildgetreuen Realzeitaufnahme wäre der filmische Informationsgehalt redundant. Die vieldeutigen Bezüge zwischen Mensch und Bild, Frau und Mann, Bewegung und Erstarrung erwachsen erst aus dem Aufbrechen der (Schein-) Kontinuität und ermöglichen so eine adäquatere Wirklichkeitsaneignung.

Nekes in ZWISCHEN DEN BILDERN. "... ich produziere nicht eine abgefilmte Bewegung sondern ich produziere eine filmische Bewegung. Ich benutze also den Film wie ein Instrument, um eine Bewegung sichtbar machen zu können, die es so in der Natur nicht gibt. Ich benutze Film als künstliche Sprache."



T-WO-MEN
Sowohl Titel wie Film stehen für ein filmästhetisches Programm und eine Liebe zwischen zwei Frauen (Geeske Hof-Helmers und Dore 0.). Nekes entwickelt Zusammenhänge; durch die differenzierte Anwendung verschiedener filmischer Mittel (Mehrfachbelichtung, Einzelbildschaltung, Rhythmuswechsel) bringt er Licht in das Vexierbild dieser kapriziösen Liebesbeziehung. Der Film ist in fünf unterschiedlich strukturierte Teile gegliedert.
Lackschuhe, Fussrücken, blonde Haare, blauer Waldweg/rote Bäume, zwei sich berührende Knie, geschminkte Gesichter, mediterrane Häuserreihe, Strapsen, Netzhüte, stöhnendes Gesicht, Fruchtschale: so können die Einstellungen der Eingangssequenz bezeichnet werden, welche die Sehlust anregt und eine erotische Erwartungshaltung produziert. Musikfragmente, der Ouvertüre von "Tristan und Isolde" entnommen und in halber Geschwindigkeit überspielt, intensivieren den sanften Fluss der erotischen Szene.
Die „Einzelbilddusche" im zweiten Teil durchbricht diese eingangs suggerierte Tuchfühlung. Dore 0. besteigt einen Küstenfelsen; geht in konzentrischen Kreisen um sie herum und photografiert mit der Filmkamera Tausende von Einzelbildern. Die Trägheit unserer Wahrnehmung lässt die 24 verschiedenen Bilder in der Sekunde nicht einzeln erkennen. Schon der programmatische Titel T-WO-MEN weist auf die daraus resultierende Bildverschmelzung hin: T verbindet sich mit WO, während dieses mit MEN verknüpft ist. Bei aller Programmatik kann aber die Konnotation auf
der inhaltlichen Ebene, die Lesart TWO-MEN, nicht übersehen werden. Dieses Verschmelzen von Einzelbildern führt zur Reflexion über Film und Licht. Nekes' Filmtheorie gründet genau in dem hier radikal demonstrierten Zusammenprall von Bildern ( siehe S.147).
Die in Sekundenbruchteilen aufeinander folgenden Einzelbilder bewirken eine optische Farbmischung, deren Vervollkommnung immer wieder zum weissen Licht führt. Wir sehen auf der Leinwand eine hellere Sequenz als tatsächlich auf dem Film vorhanden ist.
Dieser Anspruch an den Zuschauer, dass ein Film erst in der
individuellen Wahrnehmung fertig gestellt wird, ist eines der stets wiederkehrenden Elemente in Nekes' Filmschaffen.
Die Tonspur des Films ist kongruent zur Bildebene strukturiert, sie reflektiert gleichsam die Machart der Bilder - trotzdem kein „birdie sings, music sings" (Hollywood-Spottwort). Im zweiten verweisen verfremdete Gitarrensequenzen von Anthony Moore, In den meisten Filmen von Nekes und Dore 0. für den Ton verantwortlich ist, auf den Bildrhythmus. Sie steigern sich gegenseitig in einen rauschhaften Bild- und Tonfluss.
Im dritten Teil schaffen auf- und abgeblendete Mehrfachbelichtungen der beiden Frauen und anderer Personen in einer bedeutungsträchtigen Meeresküstenlandschaft vielschichtige Atmosphären.
Einstellungen eines Hafens, eines Leuchtturms und von spielenden Kindern wecken Abschiedsstimmungen. Füsse, die einen Steinhügel zu besteigen versuchen, aber an Ort treten, werden leitmotivisch wiederholt. Auf der Tonspur werden wieder, von längeren Pausen unterbrochen, die Fragmente aus der Ouvertüre von "Tristan und Isolde“ hörbar, diesmal in Originalgeschwindigkeit.

Im vierten, stummen Teil von T-WO-MEN lieben sich die beiden Frauen. Nekes belichtete ein Einzelbild bis zu 30 Sekunden und filmte diese Bildfolge mit verschieden regulierten Projektions- und Kamerageschwindigkeiten von der Leinwand ab. Daraus geht
Ein spannender Rhythmuswechsel hervor, der an den Stummfilm erinnern kann, welcher noch nicht mit den unabänderlichen 24 Bildern pro Sekunde projiziert wurde; oder auch an die radelnde Nathalie Baye in Godards SAUVE QU1 PEUT (LA VIE).

Die ästhetische Organisation von T-WO-MEN kann eher in einer musikalischen Partitur als in einem herkömmlichen Drehbuch dargestellt werden. Der Film selbst weckt musikalische Erinnerungen: man kann ihn sich mehrmals ansehen wie man sich auch ein Musikstück anhört. Mittels einer polyvisuellen Bildsprache komponiert Nekes Variationen seines Themas: Geeske Hof-Helmers und Dore 0., die sich verdichtende und wieder auflösende Intensität ihrer Beziehung. Ihre Geschichte vermittelt sich dem Zuschauer durch eine selbsttätige "Lektüre", die den Film nicht als vorgegaukelte Liebesstory begreift, sondern die Brüche und die Ambiguität produktiv umzusetzen versucht.

 

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