"The other Side of Werner Nekes."
Von Frances Terpak, Curator der Special Collections am Getty Center for the History of Art and the Humanities

englisch Wenn man die Biographien der bedeutendsten Sammler studiert, so zeigt sich, daß ihre Leidenschaft Objekte zu sammeln, schon früh in ihrem Leben beginnt. Werner Nekes - der international gefeierte Filmmacher - ist hier keine Ausnahme. Im Alter von fünf Jahren wurde seine Sammelleidenschaft geweckt, als er eines Tages seinen Großvater zur Arbeit in das Thyssen Stahlwerk in Duisburg begleitete. Das aufgeweckte Kind war so fasziniert von den unterschiedlichen Formen und Farben, welche die Mineralerzhalden reflektierten, daß es mit den Taschen voller Beispiele nach Hause ging. Unzufrieden mit der kleinen Auswahl, machte er noch weitere Exemplare ausfindig, bis seine Sammlung auf etwa 50 Objekte anwuchs. Nachdem der junge Nekes schon innerhalb von zwei Jahren eine beachtliche Kollektion besaß, begann er Fossilien zu sammeln, die er im örtlichen Steinbruch fand. Die Freude an der Zusammenstellung dieser kleinen Wunder der Natur wurde erhöht durch die Zusammenarbeit mit seinem Lehrer, der ihm half, die Fossilien zu studieren und zu datieren. Im Alter von 9 Jahren, wurde Nekes unbeschwertes Leben als Sammler erschüttert, weil seine Mutter - ohne das Wissen ihres Sohnes - beide Sammlungen wegwarf. In den Augen der Mutter hatten die Objekte begonnen, in den Lebensraum der Familie einzudringen. Für den Jungen war es eine traumatische Erfahrung, sodaß die Erinnerung daran noch heute Emotionen hervorruft.Die meisten ernsthaften Sammler haben eine unerklärliche Zuneigung und Beziehung zu ihren Objekten, die Nicht-Sammler einfach nicht verstehen können. Ich habe in den letzten Jahren eine Myriade von Sammlern getroffen und mit ihnen zusammengearbeitet; fast alle scheinen von einer inneren Kraft besessen, Objekte ausfindig zu machen, sie zu erwerben und sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Einige von ihnen beschreiben ihr Bedürfnis zu sammeln in Begriffen, die an eine Sucht denken lassen; andere sagen, daß es eine Leere in ihrem Leben ausfüllt, die normalerweise durch eine menschliche Beziehung ausgefüllt wäre; noch andere erklären, daß sie gezwungen waren, ihre Sammlung wegen der Spannungen, die sie in den familiären Beziehungen verursachten, zu verkaufen. Da Nekes noch kein entscheidungsfähiges Alter erreicht hatte, löste die Mutter die mißliche Lage in der Familie für ihren Sohn. Während sie seine Neigung zum Sammeln nur dämpfte, löschte sie jedoch nicht gänzlich diese Flamme. Da Nekes weiterhin nicht in der Lage war, Objekte aufzuhäufen, wandte sich sein Intellekt der Literatur zu. Oftmals kaufte und las er drei bis vier Bücher pro Woche über so zerstreute Themen, wie Kant bis Hirschfeld. Seine Lese- und Lernbegierde ist die Qualität, die Nekes von anderen Sammlern unterscheidet. Während alle Sammler sich ein Verständnis in ihrem Sammelgebiet erwerben müssen, um als Sammler funktionieren zu können, ist es Nekes' nachdrückliches Begehren, mehr zu wissen und die historische Einbettung eines Werkes wiederherzustellen, was ihn vom Üblichen abhebt.Als Erwachsener führten ihn mehrere Ereignisse zurück zum Sammeln. 1971, als Nekes 27 Jahre alt war und Film an der Kunsthochschule in Hamburg lehrte, bat ihn der Fotograf Fritz Kempe, einen Artikel über das Filmmachen für die "Hamburger Filmgespräche" zu schreiben. Nekes, als erfahrener Filmmacher, der immer neue Ausdrucksmöglichkeiten zu erforschen sucht, verfiel der Idee, über das Thaumatrop zu schreiben. Dies ist eine runde Scheibe, die mit beidseitig befestigten Fäden zum Drehen gebracht wird, wobei die Bilder auf jeder Seite so zu einem Gesamtbild verschmelzen. Dieses optische Spielzeug, das 1825 von John Ayrton Paris entwickelt wurde, faszinierte Nekes als ein früher Vorläufer, der zur Erfindung des Films führte. Die Sammelleidenschaft des Erwachsenen wurde wiederbelebt, nun ergriffen von dem Wunsch alle optischen Geräte, Illusionen, bewegten Bilder, projizierten Bilder, sowie alle Objekte oder Texte, welche die Basis für die Entdeckung des Films bereiteten, aufzustöbern.

Sein Wunsch eine Pre-Cinema-Sammlung aufzubauen, fiel diesmal glücklicherweise mit seinen extensiven weltweiten Reisen zusammen, die er zur Vorführung seiner experimentellen Filme unternahm. Jede Reise enthielt Zeit, nach den bekannten und unbekannten Artefakten, die zum Kino führen, zu suchen. Er war mit einem überwältigenden Drang vernarrt, die beste historische Sammlung zu schaffen, wie das moderne bewegte Bild zustandekam. Zehn Jahre lang forschte Nekes nach seinen geliebten Thaumatropen und suchte in ferngelegenen Städten, wie Bilbao, Palermo, Edinburgh und Graz. Als er 1981 endlich eine Serie in Köln fand (weiche tatsächlich der einzige originale Satz bleibt, den er jemals gesehen hat, der käuflich zu erwerben war), hatte er schon einen außergewöhnlichen Grundstock von optischen Geräten und visuellen Materials zusammengetragen, die dazu verhalfen, sich ein Bild über die Sehweisen im 18. und 19. Jahrhundert zu machen. Anders als die meisten Filmmuseen, die nur eine Folge von Geräten ausstellen, die direkt zum Film führen, hatte Nekes einen breiten Bereich der visuellen Geschichte erworben, der schon anamorphotische Bilder aus dem 18. Jahrhundert, Panoramas, bewegliche Glückwunschkarten des frühen 19. Jahrhunderts, Transformationen und transparente Bilder, Vexierbücher, Lithophanien, Metamorphosen und Bewegungsspielzeuge und zusätzlich eine fachbezogene Literatur erworben. Eine starke Komponente seiner Sammlung bestand aus zeitgenössischen Spielzeugen, welche die Fortführung dieser Prinzipien dokumentierte. Als seine Sammlung wuchs und Nekes die optischen Geräte und Bilder in seine Lehre als Professor für Film an der Kunsthochschule Offenbach einbezog, kam er auf die Idee, einen Dokumentarfilm herzustellen "Was geschah wirklich zwischen den Bildern?", der zeigen würde, wie die Gerätschaften seiner Sammlung funktionieren, ohne den Händen der Studenten ausgesetzt zu sein, welche die fragilen Objekte nicht immer mit der nötigen Sorgfalt behandelten. In den Neunzigern gewann der Film zahlreiche internationale Preise und wurde in über 50 Ländern im Fernsehen ausgestrahlt.


1992 inszenierte Nekes mit Unterstützung der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen erstmalig eine größere Ausstellung seiner Sammlung im Wasserturm und im Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr. Die didaktisch und technisch anspruchsvolle Ausstellung, die viele interaktive Komponenten enthielt, fesselte Betrachter aller Altersgruppen. Diese Ausstellung mit dem Titel "Von der Camera Obscura zum Film" sowie der dazugehörige Katalog stellte eine sehr ungewöhnliche Ansammlung von Objekten vor: Von den seltenen und einzigartigen Geräten, wie einer tragbaren Camera Obscura aus dem 18. Jahrhundert in Form eines Buches, bis hin zu Geräten, die zu ihrer Zeit ein großes Publikum unterhielten, die jedoch , wie die Laterna Magica, nur in begrenzter Stückzahl überlebten. Während sie einen Überblick über die Entwicklung der Wahrnehmung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert gab, so enthüllte die Ausstellung gleichzeitig die vielschichtige Herangehensweise des Sammlers. Hier wurde nicht nur Nekes Faszination an technologischen Erfindungen gezeigt, wie die raumgroße Camera Obscura, die er für den Wasserturm entwarf und die noch heute besucht werden kann, sondern auch die Ambition verdeutlicht, das Fortbestehen des Prinzips eines Gerätes über seine Zeit hinaus zu beobachten, demonstriert durch die Vielfältigkeit der vorgestellten Objekte. Mehrere der Konzepte wurden präsentiert, unterstützt von Illustrationen und Texten, die aus Nekes' antiquarischer Bibliothek ausgewählt wurden. Anders als andere Sammler, die sich hauptsächlich von ästhetischen Gesichtspunkten leiten lassen, will Nekes den Kontext eines Objekts und seine Funktion erforschen. Er studiert den historischen zeitgenössischen Gebrauch und fertigt darüber hinaus auch fehlende Komponenten an, um ein Objekt voll funktionsfähig demonstrieren zu können.


Nach der Ausstellung trieb dieser Wissensdurst Nekes dazu, ein internationales Festival mit historischen Theaterstücken des Schattenspiels in Oberhausen zu organisieren. Künstler aus Indien, China, Bali, Thailand, Ägypten, der Türkei und Griechenland verzauberten die Besucher mit ihren althergebrachten Repertoires. Das Schattenspiel hat seinen Ursprung in der Antike und stellt weltweit eine der ältesten und volkstümlichsten Formen der Unterhaltung dar. Nekes Interesse für diese Art der Kunstform hängt mit deren Bedeutung für die Geschichte des Kinos zusammen, was in seiner eigenen Sammlung durch eine Reihe von Schattenspielfiguren aus dem 18. und 19. Jahrhunderts repräsentiert wird.


Nekes Art zu sammeln, welche die Absicht erkennen läßt, ein Objekt in seinen Kontext zu stellen, hat schon vor 25 Jahren nationale und internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In den frühen Achtzigern traten Hilmar Hoffmann und Walter Schobert mit dem Vorhaben an Nekes heran, eine Sammlung der Vorläufer des Kinos für die zukünftige Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt zu konzipieren. Nekes war hierfür der ideale Berater. Er kannte die Geschichte, die Technik und, was nicht zu unterschätzen ist, den Markt. 1993 erwarb das Getty Center for the History of Art and the Humanities einen bedeutsamen Anteil von Nekes' Sammlung, nicht allein wegen ihrer Bedeutung für die Pre-Cinema-Geschichte, sondern wichtig als eine zusammenhängende Gruppe von Artefakten, welche die Grundlage für die Revolution innerhalb der Kommunikation des späten 20. Jahrhunderts bildet. Das Getty Center, das häufig mit dem Getty Museum verwechselt wird, ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut. Es legt Wert darauf, daß eine Kultur in der Gesamtheit ihrer Artefakte betrachtet wird. Nekes Sammlung ergänzt nicht nur die umfangreichen antiquarischen Büchersammlungen des Getty Centers, sondern erlaubt den Gelehrten in eigener Anschauung, Erfahrung mit den Erfindungen zu machen, welche die frühen Verfahrensweisen in der Kunst dominierten und schließlich den Gelehrten die Möglichkeit gibt, das Material der visuellen Medien zu studieren, welches in den Museumssammlungen in den Randbereich gerückt wird. Das Getty Center plant eine Ausstellung mit dem Titel "Lens to Digital Perception" einzurichten, die Werner Nekes' Sammlung in den Mittelpunkt stellen will. Darüber hinaus stellte das neugegründete Metropolitan Museum of Photography and Film in Tokio Nekes als Berater ihrer ersten Ausstellungsserie über die frühe Geschichte der Medien ein. Eine beträchtliche Anzahl an Objekten sind nun Teil der gegenwärtigen Eröffnungsausstellung.


Und wie sehen die Perspektiven für Werner Nekes aus? Gerade hat er fünf Dokumentarfilme beendet, welche die geschichtliche Entwicklung bestimmter kinematografischer Konzepte des Kinos nachzeichnen: "Durchsehekunst" (Perspektive und Schatten), "Belebte Bilder" (Animation), "Vieltausendschau" (Montage), "Bild-Raum" (Das mehrdeutige Vexierbild und Raum) und "Wundertrommel" (Das Lebensrad - Von der Persistenz zum Film). In diesen fünf Filmen, die auf seiner gegenwärtigen Sammlung basieren, manipuliert Nekes das Kameraauge, daß wir unsere historische Vergangenheit in einer Weise sehen, wie es mit dem bloßen Auge damals und heute nicht möglich war. Zum Beispiel fährt er die Kamera in eine, von Martin Engelbrecht zwischen 1720 und 1750 in Augsburg hergestellte Perspektivtheaterserie hinein, damit alle Ebenen genau gesehen werden können. Für den Betrachter hat dies die Magie, als reise er durch vergangene Zeiten und Räume. Obwohl dies im gewissen Sinn eine Verfälschung dessen ist, wie das Papiertheater damals gesehen wurde, denke ich, daß der Urheber Martin Engelbrecht, ein unvergleichlicher Erfinder seiner Zeit, entzückt darüber gewesen wäre, zu sehen, wie die moderne Technologie ausgehend von seiner Kunst fortschreiten kann. Durch die symbiotischen Anstrengungen des Sammelns und Filmemachens rettet Nekes die Vergangenheit für die Gegenwart und indem er so verfährt, erreicht er ein Publikum, das sich an diesen populären Kunstformen erfreuen kann. Die Welt ist voller Sammler, aber nur wenige weisen so viele kombinierte Begabungen auf wie Werner Nekes, der gleichwohl in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu Hause ist und ausdauernd unser kulturelles Erbe erforscht, um uns aufzuklären und zu erfreuen.


Frances Terpak. Ph.D., geboren in Pennsylvania, USA, Studium der Geschichte und Kunstgeschichte an der Yale University. Seit 1983 Curator am Getty Center for the History of Art and Humanities, Los Angeles, verantwortlich im Bereich Rare Photographs, Special Collections.

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