„Werner Nekes stiftet Mediengeschichte
Zur Korrektur des heutigen Medienwahns“
Von Bazon Brock

in „Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes“, 2002 Museum Ludwig 

„… Wie auch immer, ob willentlich unwissend oder aus Mangel an Kenntnis unbedarft, spätestens jetzt gibt es für die manchmal recht ahnungslosen Mediendiskursler in Deutschland keine Ausrede mehr. Mit der Ausstellung der Sammlung Werner Nekes im Kölner Museum Ludwig wird auch jener Teil der Öffentlichkeit mit der Geschichte der Bildgebungsverfahren seit dem Beginn der Moderne im 15. Jahrhundert konfrontiert, der geflissentlich oder aufmerksam die bisherigen Dokumentationen von Nekes’ Sammlerleistung nicht zur Kenntnis nahm. In den USA, Japan oder Frankreich (besonders in Händlerkreisen) war das anders; seit längerem kooperieren dort Einrichtungen, wie etwa die Getty – Foundation, mit Nekes, von dem sie auch Sammlerstücke erwarben. Es ist allein dem Geschick (dazu mehr gleich) von Werner Nekes zu verdanken, dass er weltweit eine der größten, aber vor allem eine hoch differenzierte Sammlung zur Mediengeschichte der Moderne zusammengetragen hat. Mir ist nicht bekannt, dass Nekes bei dieser Tätigkeit auf materielle oder ideelle Förderung durch wen auch immer zurückgreifen konnte. Er hat in einem Maße finanzielle Mittel, Forschungsinteresse, Durchhaltevermögen und Enthusiasmus der Kennerschaft eingesetzt, das andernorts dazu ausgereicht hätte, jemanden als Sammlerpersönlichkeit in Großformat und Wohltäter der Allgemeinheit auszurufen. Aus eigener Erfahrung kann ich bezeugen, dass es nicht einmal gelang, die Aufmerksamkeit derjenigen in Deutschland auf Nekes’ Sammlungs- und Forschungsleistung zu lenken, die als der Medien heute davon ausgehen können, neben Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Entwicklung unserer Gesellschaft maßgeblich zu prägen. Wie ist dieses Desinteresse zu verstehen? Medienmächtige und viele Wissenschaftler vermochten Nekes’ Arbeit deshalb nicht zu würdigen, weil sie keine künstlerisch-gestalterische Praxis besaßen. Und damit sind wir bei der Begründung des außerordentlichen Geschicks und des Spürsinns, die Nekes an den Tag legte. Ihm war nämlich nicht aus bildungsbürgerlichem Interesse oder aus Spekulation mit dem Museumsboom und dem der Erlebnisparks der Sammelimpuls erwachsen. Vielmehr machte er als Avantgardist der Filmkunst, die seit den sechziger Jahren unter dem bestimmenden Einfluss von Godard stand, die Erfahrung, dass Form- und Gestaltbegriffe der Film- und Fotoära viel älter waren, als die technischen Medien Film und Fotografie. Aber Bildgebungsverfahren der neuen Medien erschlossen die Besonderheit, die spezifische Leistung der „alten“ Medien: Foto/Film eröffneten den Zugang zu den genuinen Leistungen von Tafelbildmalerei, Bilderzählung im Historien- oder Ereignisbild, im Stilleben, im Deckenfresko. Dem entspricht McLuhans Diktum, dass die Inhalte neuer Medien aus der Erörterung der spezifischen Leistungen der alten Medien erwachsen. Wie alle Praktiker entdeckte Nekes aber über McLuhan hinaus den Retroeffekt: „Tatsächlich erweist sich nur dasjenige neue als Avantgarde, das uns zwingt, alles vermeintlich Veraltete und Überkommene mit neuen Augen zu sehen“ (Bazon Brock). Damit wird die Vergangenheit aktualisiert und zur Quelle gegenwärtiger Gestaltungspraxis. Nekes überprüfte also die Leistungsfähigkeit der als neu ausgegebenen Techniken anhand der Frage, ob man mit ihnen die Bild- und Begriffsarbeit etwa der Malerei zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert für die heutige Kunst als Ressource erschließen könne.Um diese Erweiterung der Gegenwart durch Vergegenwärtigung der Vergangenheit protofilmischer Epochen zu erreichen, begann Nekes mit der Sammlung der Bild- und Begrifssgebungsmaschinen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, und mehr noch: Er sammelte auch die entlegensten also seltensten Veröffentlichungen der jeweiligen Epochenkünstler, Bild- und Begriffsmagier sowie deren Techniker, um die historischen Verhältnisse von Theorie und Praxis mit Blick auf die heutigen einschätzen zu lernen. Das ist besonders wichtig, wenn mediale Neuerfindung etwa von Künstlern gegen ihre Intention verwendet werden - oder wenn unter erweislich falschen Annahmen funktionstüchtige Konstruktionen entstehen – oder wenn Bild- und Begriffskonstrukte in Zusammenhängen gebraucht werden, in die sie nicht gehören. Nekes kennt die historischen Veröffentlichungen derart detailliert, dass er als Filmer sogar noch aus völligen Fehlspekulationen der historischen Theoretiker Funken zu schlagen vermag. In kaum überbietbarer Weise demonstrierte Nekes in der praktischen Arbeit als Filmer, wie man die Geschichte unserer Anschauungsbegriffe und ihrer technisch-medialen Ausprägung als Vergegenwärtigung der Medienanthropologie evident werden lassen kann.
Sein Opus magnum „Uliisses“, nach meiner und vieler Kollegen Meinung eines der Meisterwerke der Foto- und Filmgeschichte, rekonstruiert nach dem literarischen Muster der Telemachie die Geschichte der Medien Foto und Film als Heimkehr in die historischen Epochen vor der Entwicklung dieser Medien, in denen Anschauungs- und Begriffsarbeit um so dringlicher entwickelt wurden, als es eben die technischen Medien Film und Foto nicht gab. Im 14. Jahrhundert mit Bildsequenzen, wie sie Giotto in Padua freskierte, eine Erzählung mit allen grammatischen Raffinessen von conditional und consecutio temporum, von Psychologik und Kausalität und Konsistenz der Begriffe zu entwickeln, verlangt Vorstellungsvermögen wie es ein Filmer aufzubringen hat, der nicht Sklave technischer Sachlogiken, sondern Herr eines Form- und Gestaltgebungsvorgangs sein will. Nekes erfüllt diesen Anspruch in „Uliisses“ in von niemand überbotener Weise. Mit Blick auf die heutige Debatte zur Bildwissenschaft ergeben die Sondierungen von Nekes am historischen Material, dass buchstäblich alle den heutigen Medien zugeschriebenen Leistungen wie anamorphotische Verzerrungen, Bildebenenstaffelung, Mehrfachüberblendungen, Bildanimationen, Morphing, Mapping, Multimedialität, Interaktivität, Mehrphasenmontagen, Vexierkomposita etc. bereits anschaulich evident und begrifflich bestimmt in den historischen Medien vorgegeben wurden (siehe dazu die filmischen Demonstrationen von Nekes, in denen er die historischen Bildmaschinen in Aktion vorführt). Ja, darüber hinaus zeigt Nekes generell, was im speziellen der jüngst verstorbene Felix Burda in seiner Dissertation zum Verhältnis von barocker Deckenmalerei / Raumkomposition und heutiger Videokunst darstellte. Die in den aktuellsten Medien gestalteten Bildwelten bleiben noch weit hinter den Leistungen zurück, die in historischen Medien realisiert wurden. Mit anderen Worten, erst die historischen Leistungen öffnen uns die Augen für das Potential, das in den neuesten Medien liegt. In diesem Sinne ist es unabdingbar, dass jeder heutige Bildwerker sich den von Nekes versammelten historischen Beispielen der Bild- und Begriffsarbeit konfrontiert. Soweit sie Zeichengebungsmaschinen benutzen, also begriffsgestalterisch tätig werden, können auch die oben angesprochenen Bildwissenschaftler nur in der Begegnung mit der historischen Bild- und Theoriegebung überprüfen, ob sie Opfer des grassierenden, technologisch basierten Medienwahns sind oder tatsächlich danach fragen, was man denn mit dieser Maschinerie anfangen kann. Die Antwort lautet, dass sich diese Maschinerie ausschließlich dazu eignet, Bilder und Begriffe zu vergegenwärtigen, von denen wir allzu gern glauben wollen, sie hätten sich allein schon durch die Entwicklung der Bildgebungsmaschinerie erledigt – also Bilder und Begriffe einer Anthropologie, die unser Weltverhältnis immer schon und von vornherein als medial vermittelt versteht, auch wenn wir nur den Kienspan glimmen, statt 1000 Watt erstrahlen zu lassen.

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