Schattentheater der Welt


IX. Griechenland: Karagiosis

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Das Griechische Schattentheater
Karagiosis

Das griechische Schattentheater, das nach seiner Hauptfigur Karagiosis (türk. Schwarzauge) benannt ist, nimmt im Rahmen des internationalen Schattentheaters eine besondere Stellung ein. Es ist, räumlich gesehen, die "westlichste" Ausprägung dieses Genres und inhaltlich auch die gesellschaftskritischste.

Das Vorbild des griechischen Schattenthaters ist das türkische, das seit Mitte des 16. Jahrhunderts als Unterhaltung an den türkischen Häfen auf dem Balkan bekannt ist. Das griechische Schattentheater ist erst im Laufes des 19. Jahrhunderts, nach der Gründung des griechischen Staates entstanden.

Das griechische Schattentheater kommt aus dem Volk. Es war die Unterhaltung des kleinen Mannes im Kafenion. Die Schattenspieler (Karagiosopaichtes) stammten aus dem Proletariat der Großstädte, besonders aus Athen, und waren in der Regel Analphabeten, genauso wie die Masse des griechischen Volkes zu dieser Zeit. Die Stücke wurden mündlich überliefert. Dadurch wurden sie bei jeder Aufführung neu geschaffen und an die Situation und das Publikum angepaßt. Die Stücke sind satirisch und sprechen die alltäglichen Sorgen und Nöte an. Der Karagiosis ersetzte die Zeitung. Da der Schatterispieler durch die Lande zog, brachte er immer neue Informationen mit, die er in seinen Stücken verarbeitete.

Das Schattentheater hatte seine Blütezeit zwischen 1880 und 1920. In dieser Zeit enstand das klassische Repartorium, d.h. die heroischen Stücke, in denen Helden aus der Zeit der Befreiungskriege, aber auch Personen und Wesen aus der griechischen Mythologie auftreten, und letztendlich Stücke aus dem Alltagsleben, in denen Themen wie Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit auf satirische Weise dargestellt werden. Auch die für das griechische Schattentheater markanten Figuren, die Typen der griechischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts darstellen, werden in dieser Zeit zum Leben erweckt. Zwischen 1910 und 1940 wird das Schattentheater salonfähig. Es ist nicht mehr die verpönte Unterhaltung des niederen Volkes, auch der Mittelstand akzeptiert es. Es entstehen Schattentheaterhäuser in Athen, in denen berühmte Schattenspieler, wie z.B. Michopoulos und Sotiris Spatharis, ihre Stücke aufführen. Seit den 60er Jahren hat das Schattentheater durch den Einfluß der Medien an Popularität verloren. Da die Zahl der Karagiosospaichtes abnimmt, werden Stücke fast nur noch im Fernsehen im Kinderprogramm aufgeführt. "Echte" Karagiosis gibt es fast nur noch bei Festveranstaltungen, besonders für Touristen.

Die Figuren des griechischen Schattentheaters

Die Figuren des Schattentheaters sind typisiert. Sie charakterisieren sich durch ihr Aussehen, ihre Sprache und die Musik, mit der sie auftreten.

Der Karagiosis verkörpert die Hauptfigur im griechischen Schattentheater. Er ist bettelarm und lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in einer ärmlichen Hütte gegenüber dem Palast des Pascha. Er kann weder lesen noch schreiben, auch hat er keinen Beruf gelernt. Das stört ihn aber nicht weiter. Er übernimmt Arbeiten für den Pascha, die er auf seine Weise 'erledigt". Dabei macht er sich über jeden lustig, Besonders charakteristisch ist die Art und Weise, in der er sich über die herrschenden Machtverhältnisse mokiert. Stehlen und Lügen sind gerechtfertigt, da sie zum Überleben notwendig sind. Das Wichtigste für ihn ist leben und Spaß haben. Er ist das Symbol für die jahrhundertelang unterdrückte Bevölkerung. Sein gesunder Patriotismus stellt ihn als national denkenden Griechen heraus.

Er ist relativ klein und häßlich, trägt zerfledderte Kleidung und keine Schuhe. Typisch für ihn sind seine große Nase, sein Buckel und ein besonders langer, mehrgliedriger Arm, mit dem er bei jeder Gelegenheit seinen Gegenüber verprügelt.
Karagiosis bester Freund ist Hatziavatis. Sein Äußeres gleicht am meistens dem eines Türken. Es ist die Figur, die sich am wenigsten weiterentwickelt hat. Er trägt einen Fez und Pumphosen. Typisch ist auch, daß er sich an seinem Bart festhält.
Er hat einen widersprüchlichen Charakter. Mal erscheint er als schüchterner und ernsthafter Tropf, mal als schlau und diebisch. Er ist stets unterwürfig, gekennzeichnet durch ständiges Senken des Hauptes, und versucht, sich durch einen gehobenen Sprachstil aufzuwerten. Er arbeitet im Auftrag des Pascha als öffentlicher Ausrufer und besorgt so seinem Freund Karagiosis Arbeit. Für seine Mühe wird er von diesem mit Prügeln "belohnt".

Der Pascha verkörpert die Staatsmacht im Schattentheater. Er ist der höchste türkische Beamte und Herrscher auf der Bühne. Er ist großherzig, ernsthaft und gerecht. Als höchster Vertreter des Reichtums und der Macht hat er es nicht nötig zu stehlen, sich aufzuregen oder zu lügen. Er herrscht mit Güte und unparteiisch über seine Untertanen. Damit stellt er einen Gegensatz zu Karagiosis dar.
Barbajorgos, Onkel von Karagiosis, ist, wie die folgenden Figuren, ein Vertreter der griechischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Er ist ein vlachischer Bauer, patriotisch, stark und stets bereit, die Heimat im Krieg zu verteidigen. Er ist der Einzige, der sich mit Karagiosis anlegen darf und dabei der Gewinner ist. Sein Aussehen charakterisiert sich dadurch, daß er eine Foustanella (eine Art weiter knielanger Faltenrock) trägt, Pompons auf den Schuhen hat und einen Hirtenstab in der Hand hält. Er spricht epirotischen Dialekt.
Morfonios ist eine kleine Figur mit langer Nase und riesigem Kopf. Er stellt den Typus "Muttersöhnchen" und "Narziß" dar. Er hält sich selber für ausgesprochen schön und ist ständig auf Brautschau. Er ist dümmlich und weinerlich. Häufig wird er das Opfer von Karagiosis' Schlägen. Sprachlich charakterisiert er sich dadurch, daß seine Sätze mit einem eigenartigen "wuit" aufhören.

Sior Dionissos stellt den Griechen der Ionischen Inseln dar. Diese standen niemals unter türkischer Herrschaft, sondern waren im 19. Jahrhundert ein selbständiger Staat unter italienischer Obhut. Dionissos erscheint stets mit hohem Zylinderhut, bürgerlich gekleidet, und spricht den Dialekt von Zakynthos, vermischt mit italienischen Worten. Er ist höflich, ehrlich und neigt zu Romantik. Aber in seltenen Fällen läßt er sich auch mal zu Flüchen und Witzen herab.
Vei-Ghekas stellt den Polizisten dar, der als Albaner noch den Türkenuntertan ist. Er ist der persönliche Feind von Barbaiorgos, unterliegt bei den Prügeleien aber meistens.
Alexander der Große ist eine Figur aus der griechischen Geschichte. Er erinnert an die einstige Größe Griechenlands im 4. Jh. v.Ch.. Er tritt in voller Rüstung mit Schwert in dem Stück "Alexander der Große und die verfluchte Schlange" auf.

Weitere Figuren:

Kollitiris, der kleine Sohn des Karagiosis;

Stavrakas verkörpert den griechischen Mangas (Macho) aus dem Proletariat der Städte des 19. und beginnenden 20. Jh.;
der Jude, genannt Solomos, Darsteller des reichen, geizigen Juden aus Thessaloniki, ehemaliges Handelszentrum Griechenlands und größte jüdische Kolonie;

Frauenfiguren kommen nur ganz am Rande vor, vor allem in der Gestalt der Tochter des Wesirs oder Paschas, die gerettet werden muß, oder als Frau des Karagiosis. Diese erscheint aber nur seiten auf der Bühne. Meist ist nur ihre Stimme zu hören.

 

Die Stücke

Die Stücke zeichnen sich durch die Rahmenhandlung, die vom Thema vorgegeben wird, und durch einen gleichen Ablauf in der Reihenfolge des Auftretens der Figuren aus. Sie beginnen stets mit einem Lied und Tanz des Karagiosis mit seinen Kindern, wobei das Thema der Aufführung angekündigt wird. Anschließend tritt Hatziavatis auf, erhält vom Pascha einen Auftrag und ruft diesen im ganzen Wohnviertel aus. Er trägt den Auftrag seinem Freund Karagiosis zu, der ihn zunächst einmal verprügelt. Anschließend nimmt die Haupthandlung ihren Lauf. Der Auftrag wird ausgeführt,die verschiedenen Figuren treten hintereinander auf und versuchen sich an der Lösung. Am Ende richtet es Karagiosis so ein, daß er den Auftrag löst und der Sieger bleibt. In der Schlußszene wird Karagiosis meistens von seinem Onkel für seine Schandtaten bestraft. Schließlich vertragen sich aber alle. Es folgt ein gemeinsamer Tanz, mit dem die Aufführung endet.


Der Goldene Apfel

Dies ist ein Stück, das sich eher an Kinder richtet. Es stützt sich auf die griechische Sage vom Garten der Hesperiden und ordnet sich somit in den Kreis der Stücke mit mythologischen Themen ein.

Die Tochter des Paschas ist während eines Festes im Palast verschwunden, und der Pascha erhält die beunruhigende Nachricht, daß er seine Tochter nie wieder sehen werde, wenn er nicht in die Heirat zwischen ihr und dem Sohn der Hexe, dem Löwen, der auf der Ebene lebt, einwilligt. In seiner Verzweiflung befiehlt er seinen Dienern zu verbreiten, daß derjenige, der seine Tochter in der Ebene des Apfelbaums findet, belohnt und sein Nachfolger nach seinem Tod werde. Karagiosis und Hatziavatis erfahren von dieser Boschaft und beschließen, nachdem sie diese als Stadtschreier verbreitet haben, selbst zu dem Apfelbaum zu gehen.

Vor dem Apfelbaum erscheint ein geflügeltes Ungeheuer und schwört, daß, solange es lebe, der Pascha seine Tochter nicht finden werde. Diese sei sehr gut versteckt. Anschließend verwandelt es sich mit Hilfe eines Zauberstabes zu einer alten Hexe, welche ihrem Sohn, dem Löwen, Anweisungen gibt, wie er sich bei der Ankunft der verschiedenen Leute verhalten soll.

Als Hatziavatis bei dem Baum ankommt, verwandelt ihn die Hexe und droht ihm, daß der Löwe ihn auffressen werde. Während Karagiosis seinen Freund sucht, erscheinen verschiedene Leute. Als erster erscheint Dionissos und fragt Karagiosis, wo das Mädchen zu finden sei. Aber die Hexe ist schon bereit, Karagiosis zu verwandeln. Da fällt plötzlich ein Apfel vom Baum und Karagiosis auf den Kopf. Der fällt hin und die Hexe berührt Dionissos mit ihrem Zauberstab. Dasselbe geschieht mit Morfonios und Barbajorgos. Karagiosis ist aber so gewitzt, daß er der Hexe den Zauberstab stehlen kann und sie verwandelt. Auch den Löwen berührt er, der sich in einen wunderschönen jungen Mann verwandelt und sich als der verlorene Sohn eines anderen Pascha entpuppt. Dieser erzählt Karagiosis, daß das gesuchte Mädchen der letzte Apfel am Baum ist, den Karagiosis gerade essen wollte. Karagiosis berührt den Apfel mit dem Zauberstab und erlöst das Mädchen und auch all die anderen. Anschließend gehen sie zurück zum Palast des Pascha.

Alexander der Große
Dieses Stück gehört, genauso wie das vorgehende, in die Kategorie der mythologischen Stoffe. Es enthält Elemente der Drachentötersage. Alexander der Große ersetzt den Hl. Georg als Nationalheld.

Eine Schlange treibt ihr Unwesen vor den Toren der Stadt und bedroht die Bevölkerung. Hatziavatis erhält den Auftrag, öffentlich zu verkünden, daß derjenige, der die Schlange tötet, eine große Belohnung und die Tochter des Pascha zur Frau erhält. Hatziavatis trägt den Auftrag seinem Freund zu, mit der Bitte, ihm beim Ausrufen zu helfen.

Kollitiris, der Sohn des Karagiosis, hat inzwischen die Schlange gefunden und spielt mit ihr. Karagiosis kommt hinzu und versucht, ihn zu beschützen. Derweil erscheinen eine Reihe Leute (Bey, Dionissos, Barbajorgos und Morfonios) und versuchen, die Schlange zu töten. Der Versuch endet allerdings mit einem Fiasko. Da kommt Rettung in letzter Not: Alexander der Große zieht mit Pomp und Gloria auf die Bühne. Er ist bewaffnet und wird von Karagiosis bewundernd empfangen. Er möchte Karagiosis den Vortritt bei der Bekämpfung der Schlange lassen, aber letzendlich macht er den ersten Schritt. Nach einem langen und schweren Kampf und dank der komischen Einlagen des Karagiosis gelingt es ihm, die Schlange zu töten. Alexander zieht wieder ab und läßt Karagiosis allein mit dem Ungeheuer. Dieser fährt fort, es zu schlagen. In diesem Moment kommt Hatziavatis hinzu und nimmt an, daß Karagiosis die Schlange getötet habe. Sie werfen die Schlange weg und gehen zum Palast des Paschas, um die Belohnung zu empfangen. In diesem Moment tritt Alexander auf und nimmt den Sieg für sich in Anspruch. Damit erhält er die Tochter des Pascha zur Frau. Das Stück endet mit einem griechischen Tanz (Kalamatianos).

Spieler:
Evgenios Spatharis
Fani Spatharis

Betreuung:       
Silvia Ebert

Handzettel:
Silvia Ebert
Evgenios Spatharis

Übersetzung:
R. Tilmann

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