Uliisses

 den gesamten Text von Eva Schmidt als PDF herunterladen...

Odysseus 1980

"Werner Nekes drehte 1980/82 einen 94 Minuten langen Farbfilm mit dem eigenartigen Titel "Uliisses". Das ist Ruhrgebietsdeutsch und heißt 'Uli ist es'. Erzählt wird der Tagesablauf des Fotografen Uli (VA Wölfl) an einem Tag im September 1980. Erzählt wird aber auch von seiner Frau Tabea (Tabea Bloomenschein), die sein Fotomodell ist und ein großer Filmstar werden möchte. Und drittens lernen wir den jungen Engländer Phil Masters (Russel Denton) kennen, der seit einem Jahr und elf Tagen unterwegs ist, um die Welt - unsere Welt der 80er Jahre - kennen zu lernen, und der zu begreifen scheint, wie er leben will. Vor allem aber sucht er nach künstlerischen Ausdrucksformen, denn er ist werdender Dichter und Maler.
Diese 'Story' wird nun nicht in jenem Filmstil berichtet, den wir gewohnt sind und der sich an den Erzählformen von Romanen des vorigen Jahrhunderts orientieren. Kein durchgehender 'roter Faden', kein 'und dann - und dann', sondern Filmszenen, aus deren optischer und akustischer Information sich vielfältige Indizien ergeben, aus denen man das eigentliche Geschehen rekonstruieren muß.

Uliisses

Diese inhaltliche Gewebe-Struktur ist derart faszinierend, daß wir beim ersten Sehen des Films uns nur ab und zu bewußt werden, was für einen unglaublich komischen Film wir gezeigt bekommen. Die durchgängige Ironisierung von Inhalt und Form wird vielen erst bei der nachträglichen gedanklichen Rekapitulation des Gesehenen und Gehörten klar.
Nekes schreibt den Titel seines Films so, daß sich die beiden i' kreuzen und so fast ein y' ergeben. Damit und mit dem Klang wird auf jenes literarische Werk angespielt, von dem ab sich die modernen Erzählformen datieren: 'Ulysses' von James Joyce.
Nekes hat aber nicht etwa den 'Ulysses' verfilmt, sondern benutzt ihn als filmisches Erzählmuster, auch wenn er einzelne Themen aus dem Roman tatsächlich zu zitieren scheint. Joyce hat seinerseits nur mit dem Titel auf eine Grundstruktur verwiesen, die er verwandt hat: auf die Odyssee des Homer. Und auch den Homer glauben wir in Nekes' Film zu entdecken. Außer beidem hat Nekes Szenen aus einem 24-stündigen Schauspiel benutzt, aus Neil Orams 'The Warp', in mit dem Autor abgesprochenen Variationen, was Texte und Reihenfolge anbetrifft.

Uliisses

1975 gab es bereits über 2000 Titel Sekundärliteratur zu James Joyce. Und dort wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Hauptfigur seines Werks eigentlich die Sprache sei. Bei Nekes ist das der Film, seine Ausdrucksmöglichkeit. Er nennt sein Oeuvre daher auch: "Lichteratur". Und er begreift sein Medium als magisches Instrument. Deshalb die Figuren der Magier, die sich immer wieder ins Geschehen einmischen. Deshalb auch die Demonstration filmischer Mittel von der Vorgeschichte des Kinos bis zur Holographie.
Wir bekommen Szenen zu sehen, in denen Amateurtheater mit statischer Kamera abgefilmt erscheint, und Szenen, in denen Nekes mit Laserlicht arbeitet. Dies in der Zyklopen-Episode, in den verschiedenen 'Lichtspielen', die man mit Laser veranstalten kann bis zur Perforierung des Filmstreifens: als Zeichen für die Blendung des Polyphem brennt Nekes mit dem Laserstrahl ein kleines schwarzes Loch in den weißen Streifen. Am intensivsten aber wirkt der 'Zauber', wenn Nekes zwei neuartige von ihm entwickelte filmische Mittel einsetzt: einen drehbaren Halbkreisspiegel, der die Ereignisse vor und hinter der Kamera zu einem Bild verschmilzt und damit eine neue Übersetzung der Vokabel 'während' in die filmische Metaphorik einführt. Das andere Instrument ist ein computergesteuerter Blendenshutter, mit dem er aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein choreographisch rhythmisiertes Bildfeld-Gewebe erreicht. Diese spezifische Aufsplitterung von Realität kennen wir ähnlich bisher nur aus den Werken der kubistischen Maler.
In der Hades-Sequenz arbeitet Nekes mit Farbfiltern und Mehrfachbelichtung. Er zerlegt die Farbfilmschichtung in ihre drei Bestandteile: Cyan, Magenta und Yellow, und da Ulis Gänge sich nicht decken, erscheint er dreifach: Schauspiel in dem dreifachen Sinn von Sein, Spielen und Handeln (George Tabori) oder, wie es im Hamlet heißt: "an act hath three branches: it is: to act, to do and to perform" (Act V, Scene I: A Churchgard)! Zwei gleich gekleidete Männer bedeuten nach Joyces: Reime. Neben dem Elysion ist der Tartaros.
Gegen Ende des Film tötet Uli die 'Freier' der Tabea, indem er sie fotografiert, ihnen das Leben entzieht, indem er sie 'bannt' und dann läßt er diese Fotos zu Staub zerfallen. Nekes benutzt hier (in der Nachfolge des Alchimisten Johann Heinrich Schulze) fotografische Nachbilder auf phosphoreszierendem Pulver. 'Zauberei' bis zum Schluß! Und auch eine Lithophanie, wie sie neben dem Wort 'Ende' aufleuchtet, dürften die meisten Filmbesucher hier zum ersten Mal zu sehen bekommen: den Stich oder die Lithographie einer Homer-Illustration von Angelica Kauffmann, in eine porzellanartige Masse eingelegt, die transparent ist und je nach der Beleuchtung das Bild wie 'negativ' oder 'positiv' erscheinen läßt.

 

Das klingt alles sehr kompliziert, aber mit all diesen Mitteln wird eine einfache Geschichte erzählt: die eines Malers und Fotografen im Ruhrrevier, der morgens mit der Post unter dem Arm sein Haus verläßt, fotografiert, zeichnet, eine optische Demonstration, die er im Museum ausgestellt hat, aufsucht, sich über eine politische Diskussion im Fernsehen mokiert, Gemüse einkauft, einen Künstler-Kollegen (Wolfgang Liesen) besucht, Step-Unterricht nimmt und sich erinnert. Er lernt einen jungen englischen Globetrotter kennen, der ihm von den Stationen seiner Reise durch die politisch aktuelle Welt erzählt, von seinen Schwierigkeiten mit der gesellschaftlichen Situation, in der er sich befindet, und von den Fragen, die er ans künstlerische Handwerk stellt. Schließlich gibt er die Post auf und kommt heim. Er erzählt seiner Frau von dem Tag, der hinter ihm liegt, sie erinnert sich an ihren Tagesablauf. Und all diese Szenen des Geschehens, Denkens, Erinnerns, des Erzählens und des Träumens werden vermischt mit interpretatorisch eingesetzten nachgestellten oder übernommenen Einstellungen aus Filmen, die immer wieder demonstrieren, wie sehr das Erleben der realen Welt, sei sie 'wirklich' oder 'vorgestellt', sich mit den Kino-Klischees zu vermischen scheint." (Eva M. J. Schmid, Journal Film, Heft 4, S. 27, 28).

zurück...