Amalgam

Geflecht

"ist ein Film, der mich sehr, sehr interessiert hat, der mich wirklich tief bewegt hat." (Norman McLaren, Montreal, Canada, März 1976)

Ingo Petzke über "Geflecht":

"Die Rezeption von Nekes-Filmen schwankt gewöhnlich zwischen der kühlen intellektuellen Freude am Aufspüren der benutzten Baustrukturen einerseits und dem emotionalen Entzücken über visuelle Entdeckungen und Sichtbarmachungen andererseits. Ein nur scheinbarer Gegensatz im übrigen, den Nekes nicht gelten läßt, denn das eine resultiert schließlich in hohem Maße aus dem anderen. "Geflecht", der 16minütige Schlußteil der Anthologie "Amalgam", könnte hier wertvolle Aufschlüsse geben. Um es klar vorwegzuschicken: die Rezeption des Anderen Kinos ist im Gegensatz zu sonstigen Filmen in allerhöchstem Maße subjektiv bedingt. Meine Faszination und Süchtigkeit nach Nekes-Filmen resultiert zu einem Großteil aus meiner subjektiven Erfahrung der Atmosphäre schwedischer Landschaft. Das Wiedererkennen eigener Emotionen (hauptsächlich in "Hynningen", aber auch in "Makimono" oder "Geflecht") führt zu einer Objektivierung und Steigerung der Empfindungen seltsamerweise niemals zu einem "Dejà-vu". Denn genau darin liegt die unerhörte Stärke von Nekes: schon im Rohzustand "schöne" Bilder erlangen durch die Bearbeitung und Verarbeitung oft fast hypnotische Intensität. Sebastian Feldmann hat diesen Zwang zur Verarbeitung einmal auf Nekes' Angst vor dem ästhetischen Bild zurückführen wollen. Genau das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein: erst die Umsetzung eines Bildes in die filmspezifische Sprache kann ein Film-Bild höchster Intensität hervorrufen.

Amalgam - Geflecht
 

Wie hätte man in "Makimono" ein Panorama, das Innere eines Landschaftsraumes besser auf die Leinwand bannen können als durch allmähliche Auflösung zu einem (zweidimensionalen) abstrakten Gemälde? Wie hätte man in "Hynningen" die Beziehungen zwischen menschlichen Lebensräumen treffender darstellen können als durch Öffnen und Schließen der Nahtstellen (Fenster-, Türen) im selben Bild mit den dadurch bedingten Veränderungen? So auch sollte man die Produktionsmitteilung verstehen, "Geflecht" liefe "in lebendigen Bildern dem Pointilismus mit 24 Gemälden pro Sekunde davon": filmischer Pointilismus muß anders aussehen als solcher in Öl, und darum auch ungleich intensiver wirken als abgefilmter Pointilismus.

 Oft ist bei Nekes ein Hang zur Archäologie des Kinos zu beobachten oder zu längst bekannten Prinzipien und Formen der bildenden Kunst. Mal kommt einem da Magritte in den Sinn ("Hynningen"), mal wird Plateau direkt erwähnt, der das Nachbild auf der Retina bis zum eigenen Erblinden erforschte ("Phothophthalmia"). Soll Film das Malen mit Licht sein, wie es Louis Delluc einmal postulierte, so war es sicher nur eine Frage der Zeit, auch das pointilistische Prinzip umsetzen zu wollen. Wer Nekes, den lnnovator, kennt, weiß, daß er sich lange mit diesem Projekt auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis übertrifft in der Wirkung auf den Zuschauer die Erwartungen ...

Amalgam - Knoten

Es wird in Nekes' Filmen immer schwieriger, den kühlen intellektuellen Abstand zum Bild zu halten. Denn im gleichen Maße, in dem die innere Struktur komplexer wird, nimmt die äußere Struktur ab. "Geflecht" stellt in dieser Entwicklung bisher den Höhepunkt dar, und es ist unbegreiflich, weshalb (unaufmerksame) Zuschauer nach wie vor so heftig auf Nekes' radikale Ästhetik reagieren: die Stolpersteine angeblich zu krass hervortretender äußerer Strukturen sind fast vollständig verschwunden. Dennoch, wer sich nicht völlig visuell verzaubern ließ, der konnte eine interessante Feststellung zur Technik machen. Mit Ausnahme eines Teils von "T-WO-MEN" hat Nekes sein Material optisch bisher ausschließlich in der Kamera bearbeitet. Wie kaum jemand außer Stan Brakhage hat er die Möglichkeiten der 16-mm-Kamera nicht nur ausgeschöpft, sondern auch neue entdeckt, hinzuerfunden. "Geflecht" bricht radikal mit dieser Tradition, denn dieser Film bekam seine Form erst durch die Be- und Verarbeitung des Materials an der optischen Bank. Das ist neu für Nekes, und es bleibt abzuwarten, ob dies eine einmalige, stilistisch bedingte Abweichung war oder der Aufbruch zu neuen Möglichkeiten.


Gewohnter für Nekes dagegen der programmatische Titel des Films, der sich auf die optische Bearbeitung bezieht. 11 Einstellungen, deren Länge zwischen 18 Sekunden einerseits und 3 Minuten 46 Sekunden andererseits schwankt, sind locker aneinandergereiht. Jedes Einzelbild des Ausgangsmaterials, das zum Teil schon in der Kamera bearbeitet wurde, wird 10 bis 120fach verlängert. Während dieser Verlängerung wird das Ur-Bild langsam ausgeblendet, während das nachfolgende Ur-Bild genauso langsam eingeblendet wird. Damit entstehen unterschiedlich lange Überblendungen von einem Einzelbild zum nächsten, und diese Überblendungen sind ineinander verwoben, bilden eben ein - "Geflecht."

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