Falun

Die Bildschürfung von Falun

Dietrich Kuhlbrodt im "Eppendorfer Medienbrief" 2/1978: "1719 wurde in den schwedischen Kupferbergwerken zu Falun aus einer Tiefe von 130 Metern die äußerlich unversehrte Leiche eines 1670 verunglückten Knappen geborgen. Kupfervitriol soll ihn konserviert haben. Identifiziert, so ging die Geschichte in die Literatur ein, wurde er von seiner Braut, die inzwischen zur Greisin verkümmert war. Über dem Toten, der noch die blühenden Züge des Zwanzigjährigen trug, brach sie zusammen.

Diese Geschichte braucht man nicht zu kennen. Zu kennen oder zu erinnern braucht man lediglich den, nun ja, Weltschmerz dessen, der den Weg vom Besonderen aus dräuenden Allgemeinen: zum Unendlichen nicht findet. Der "Falun"-Held, der am Abend vor der Hochzeit mutterseelenallein in tiefster Tiefe sich " wie in zwei Hälften geteilt" fühlt und mit deren einer in den Armen der geheimnisvollen Bergkönigin ausruhen möchte, wird eins mit den angeblich leblosen Gestein. - Nekes zeigt in seinem "Falun"-Film den einzelnen (Darsteller: Wolfgang Liesen) vor den Holzwänden, den Konstruktionen, dem Turm des Bergwerks. Dessen Isolierung, dessen Einswerden mit den Objekten, die ihn umgeben, wird verstärkt durch merkwürdige Lichtänderungen und Mehrfachbelichtungen. Stotterige Schwenks (in Einzelbilder aufgelöste Senkrecht-Schwenks) und Bildstreifen qualifizieren die Bilder als Material .

Falun 

Nekes hat zu diesem Beruf die 35-mm-Kamera umgebaut. Er hat die elektrische Achse durch eine mechanische ersetzt und kurbelte wie in frühester Zeit der Filmgeschichte mit der Hand. Vorteil: die Belichtungszeit wurde durch die Geschwindigkeit der Kurbeldrehung bestimmbar; langsamere Drehungen speichern mehr Licht und machen die Farben variabel. - Vor das Kameraobjektiv setzte er einen Compurverschluß. Eine Einzelbildaufnahme konnte er so in verschiedenen (hier: drei) Zeit- und Lichteinheiten unabhängig voneinander mehrfach belichten. (Es läßt sich also mit Geräten der Jahrhundertwende arbeiten). Ruck-Erfindungen und neue Kombinationen alter Werkzeuge - Handkurbel und Compurverschluß - machen eine neue Bildsprache möglich. Nekes bestimmt den Bildausschnitt durch die Lichtintensität: die durch den Compurverschluß gesteuerte Lichtstärke konzentriert Lichtringe um die Bild-Mitte und vermittelt die Auflösung des im Falun vereinsamenden Einzelnen.

Nur mit Mitteln des 35-mm-Films,"dessen zweiter großer "Falun" erst ist, war der materialisierende Bildstreifen hervorzubringen. (8- und 16-mm Filme, die lediglich ein Perforationsloch pro Bild aufweisen, können nur einen Bild-Strich fabrizieren). Der Bild- Streifen des 35-mm-Films, der durch Versetzen von einem oder mehreren der vier Perforationslöcher des einzelnen Filmbildes entsteht, erlaubt die gegeneinander versetzten Mehrfachbelichtungen.

Die Innovationen, die "Falun" sowohl zu einem wichtigen und sehenswerten Film-Experiment als auch zu einem Erlebnis der historischen Falun-Romantik machen, verbinden sich zu einer glückhaften Einheit: der Bild-Schürfung von Falun".

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