Mirador
Abenteuer im Land der Schatten-Steine 

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Spiegel als Formelement

(Auszug aus: Spiegelbilder im Film von Gerhard Büttenbender und Sigurd Hermes. Katalog zur Ausstellung "Spiegelbilder", Kunstverein Hannover 1982).

"(...) im narrativen Film wird heute die Kamera weitgehend dazu benutzt, Illustrationen von Romanen oder Inszenierungen literarischer Vorlagen aufzunehmen. Gleichzeitig entstanden aber bereits sehr früh in der Geschichte der Kinematografie Filme, die in freier, rhythmischer Anwendung der filmischen Mittel nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern eine eigene filmische Wirklichkeit schaffen. Diese Problematik ist ein Aspekt, der (neben anderen) den Film "Mirador" (1978) von Werner Nekes bestimmt. Die Herren Böhmler und Tuzina, die sich in diesem Film bisweilen unterhalten, sprechen einmal auch von jener Wirklichkeit, die nur durch die Medien zustande kommt. Diese Thematik gilt für die gesamte Filmarbeit von Werner Nekes, einem Filmmacher, der am konsequentesten mit seiner Kamera Wirklichkeit produziert und nicht reproduziert.

Im Film "Mirador" ist eins der prägenden Formelemente ein maschinell rotierender Spiegel, der in unterschiedlichen Formen in das Filmbild Realitätsausschnitte einspiegelt, die sonst von der Kamera nicht erfaßt werden könnten. So entstehen über weite Passagen des Films zusammengesetzte oder zerrissene Bilder, die eine neue, "mediale" Wirklichkeit sichtbar machen. Langsameres oder schnelleres Drehen der Spiegelvorrichtung skandiert einen Rhythmus der Bilder, der von ganz ruhigen Sequenzen bis zu hektischem Stakkato reicht. Überlagerung von Landschaften, rhythmischer Wechsel von Ausblicken in einer Einstellung, reißendes, blendendes Hell-Dunkel, Aufnahmen eines rotierenden Spiegelkabinetts sind einige der Grundelemente, der Spiegelbilder in "Mirador". So entstehen nie gesehene Sequenzen: Herr Tuzina galoppiert auf einem stehenden Holzpferd geschwind durch den Wald; am Strand erscheinen Personen, verwandeln sich in andere, verschwinden; Gegenbewegungen in rasender Fahrt überlagern sich kontrapunktisch; Fassadenreihen ganzer Stadtviertel rutschen nach unten aus dem Bild; Schiffe heben ab und fliegen mit den Bildern, die sie zeigen. Neben den Spiegelbildern gibt es Passagen, die von Mehrfachbelichtungen und von kurzen Dialogen oder Spielszenen bestimmt sind. Aber alle Szenen und Einstellungen sind geprägt durch eine kinetische Empfindung. Besonders die rhythmische Bewegung der Spiegel im Bild organisiert als Formelement die Bewegung der Bilder zu einer eigenen, neuen Wirklichkeit.

Dieses Ergebnis entspricht einer Forderung, die Dsiga Wertow bereits 1922 an den Film stellte: "Wir suchen seinen (des Films) eigenen, nirgends gestohlenen Rhythmus - und finden ihn in der Bewegung der Dinge. Notwendigkeit, Präzision und Schnelligkeit - drei Forderungen an die Bewegung, die der Aufnahme und Projektion würdig sind. Filmarbeit ist die Kunst der Organisation der notwendigen Bewegungen der Dinge im Raum, wobei das rhythmische, künstlerische Ganze den Eigenschaften des Materials und dem inneren Rhythmus eines jeden Dings angepaßt wurde."

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