Die Geschichte des Sehens – Uliisses
Von Walter Schobert
(Leiter des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt), Stern 02.04.1987

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Ein Mann steht in einer Dunkelkammer. Rotgrüne Beleuchtung. Der Fotograf zieht aus der Entwicklerflüssigkeit das Foto eines Männerkopfes, betrachtet es, schüttelt es leicht. Das Bild kommt ins Rutschen, fällt in sich zusammen, wird zu Staub. Werner Nekes, der in »Uliisses« die Odyssee verfilmte, fand eine verblüffend einfache Lösung, um eine Reihe von breit erzählten Szenen durch eine kurze, symbolische Sequenz zu ersetzen: Der heimgekehrte Odysseus - der Mann in der Dunkelkammer - hat seine Frau Penelope von Freiern umworben vorgefunden und befreit sich von seinen Rivalen, indem er sie - wortwörtlich - auslöscht.Gedanken visuell auf den Punkt zu bringen - das ist Nekes' Bemühen quer durch den ganzen Film. Denn natürlich hatte er keine simple Literaturverfilmung im Sinn, als er sich Homers »Odyssee« und den »Ulysses« von James Joyce zum Thema nahm.

So wie Joyce die Literatur revolutionierte, so krempelte Nekes die Erzählweise des Kinos um. Sein Material ist freilich nicht die Sprache, sondern das Bild, die Bewegung, das Licht - kurz: der Film.Bei Nekes wird aus dem Helden von Joyce, dem Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom, der Fotograf Uli. Und seine Molly ist nicht mehr Sängerin, sondern Fotomodell. Wie Joyce benutzt auch Nekes eine Unmenge von Zitaten, Anspielungen und Verweisen, um seine in 18 Episoden gegliederte Geschichte zu erzählen. Und so wie Joyce sich die gesamte Literatur zur Fundgrube machte, so spaziert Nekes in der Filmgeschichte umher. Er zitiert Groucho Marx, »Casablanca« und die Monroe; nutzt frühe kinematographische Erfindungen wie die Wunder-trommel oder das Diorama und stellt sie wie selbstverständlich neben High-Tech-Errungenschaften wie Laser oder Hologramm.Der Zuschauer muß da schon zum Pfadfinder werden und nach den Lösungen suchen, die hinter den Geheimnissen dieses - stets auf mehreren Ebenen spielenden - Films stecken. Ein Dechiffriersyndikat könnte gut weiterhelfen, so wie es die Fans von Arno Schmidt vorgemacht haben, eines anderen großen Streifzüglers durch die Kulturgeschichte.


Wie Schmidt und Joyce ist auch Werner Nekes immer wieder Sturm gelaufen gegen konventionelle Erzählgewohnheiten. Seit seinen ersten Filmen Mitte der sechziger Jahre arbeitet er daran, die Grundlagen der Wahrnehmungsfähigkeit zu erforschen. Immer tiefer ist er dabei eingedrungen in die Geschichte des Sehens. Seine Theorie: Montage findet nicht wie im herkömmlichen Kino zwischen zwei Szenen statt, sondern schon zwischen zwei Einzelbildern, von denen die Kamera in jeder Sekunde 24 aufnimmt.


»Uliisses« ist voll von kleinen technischen Wunderdingen. Szenen, die mit Einzelbildschaltung aufgenommen wurden oder über rotierende Spiegel. Wie zum Beispiel jene, in der Nekes zeigen will, daß die Beziehung zwischen zwei Menschen gestört ist. Herkömmliche Filme würden eine Geschichte erzählen und dazu viele Bilder vorführen und noch mehr Worte machen. Nekes dagegen baut nur eine Kamera auf, stellt ein Kind und seine Mutter davor - und manipuliert dann den Entwicklungsprozeß des belichteten Films. Mischt Negativ und Positiv, läßt Bildstörungen flackern, macht Fehlbelichtungen sichtbar. Entwicklungsfehler sollen menschliche Fehlentwicklungen aufzeigen.
International genießt Nekes längst höchste Reputation und wird zu den wichtigsten deutschen Regisseuren gezählt. Hierzulande ist er nur einem kleinen
Kreis von Eingeweihten bekannt, wird sein Werk dem Ghetto des Experimentalfilms zugerechnet. Doch gerade dort fühlt Nekes sich nicht wohl. Das einzig Experimentelle an »Uliisses«, sagt er, sei der lächerlich niedrige Preis, zu dem der Film fertiggestellt worden sei. In einer Zeit, in der selbst Fernsehspiele eine Million und mehr kosten, hat Nekes für »Uliisses« lediglich 300 000 Mark gebraucht.

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